Sonderpädagogische Diagnostik : Mutiger Schritt im Saarland
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Förderschule für individuell beeinträchtigte Kinder Bild: dpa
Die Anzahl verhaltensauffälliger Schüler in allen Bundesländern hat sich seit 2005 fast verdoppelt. Lehrer sind überfordert. Das Saarland reagiert jetzt mit einer neuen Förderschule.
Selbst im kleinen Saarland haben sich in jüngster Vergangenheit die Brandbriefe aus den Schulen gehäuft. Nahezu jede Woche hat eine andere Schule die Unmöglichkeit eines sinnvollen Unterrichts beklagt, weil Schüler ausrasteten und ganze Klassen und Lehrerkollegien terrorisierten. Leider hat auch Saarbrücken in der Amtszeit der damaligen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) den Fehler gemacht, das früher verpflichtende sonderpädagogische Gutachten für förderungsbedürftige Kinder abzuschaffen. Nach der neuen Inklusionsverordnung ist das Gutachten selbst bei klaren Anhaltspunkten für eine vorliegende Beeinträchtigung oder Behinderung in das Ermessen der Schulbehörde gestellt.
Entsprechend wenig wird von diesem Diagnoseverfahren Gebrauch gemacht. Dadurch fehlt die Datengrundlage für die Statistik der verschiedenen Behinderungsarten. Auch in anderen Ländern hat man im Zuge der UN-Behindertenrechtskonvention, die weit davon entfernt ist, derlei zu fordern, aus lauter Angst Behinderte zu stigmatisieren, die sonderpädagogische Diagnostik zurückgefahren oder abgeschafft. Dabei wäre sie die Voraussetzung dafür, förderbedürftigen Kindern und Jugendlichen individuell gerecht zu werden.
In allen Ländern hat sich die Anzahl der verhaltensauffälligen Kinder seit 2005 fast verdoppelt. Laut amtlicher Schulstatistik wurden 2016 insgesamt 87.000 Kinder mit einem Bedarf an sozial-emotionaler Förderung gezählt. 2005 waren es noch 46.000. In den Klassen sitzen derzeit fast doppelt so viele Schüler, deren Verhaltensauffälligkeit offiziell bestätigt ist. Von den nicht diagnostizierten oder nicht bestätigten Fällen ganz zu schweigen. In einem Papier der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2000 werden einige Gründe für den sprunghaften Anstieg genant: „Erfahrungen von Alleingelassensein, das Erleben von Angst und Hilflosigkeit, von Armut, sozialem Ausschluss, auch emotionale Überforderung und Trennungsängste oder sexueller Missbrauch können zu aggressiven wie auch regressiven oder introvertierten Verhaltensweisen führen“.
Kritik von Inklusionsbefürwortern
Unumstritten ist unter Fachleuten für Rehabilitation und Psychologie, dass Kinder mit sozial-emotionalen Störungen stark individualisiert und personell gebunden unterstützt werden müssen, wenn die Förderung zum Erfolg führen soll. Sie brauchen eine feste Bezugsperson und echte Rückzugsräume, mehr als zehn bis zwölf Kinder sollten nicht in einer Gruppe sein.