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Schulzeitverkürzung : Schlechtere Mathe-Noten im G8

  • -Aktualisiert am
Empirische Analysen zu den Wirkungen der Schulzeitverkürzung gibt es durchaus.

Empirische Analysen zu den Wirkungen der Schulzeitverkürzung gibt es durchaus. Bild: AP

Es gibt durchaus wissenschaftliche Befunde zu den Wirkungen des Turbo-Abiturs in nur acht statt neun Jahren. In der Debatte werden sie jedoch zu Unrecht meist völlig übergangen.

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          In den vergangenen zehn Jahren haben nahezu alle Bundesländer die Schulzeitverkürzung von neun (G9) auf acht Jahre (G8) am Gymnasium eingeführt. Sie sollte einen früheren Übergang in Studium und Arbeitsmarkt ermöglichen. Unterstellt wird dabei, dass der gleiche Leistungsstand im Abitur erreicht und das Abitur in der Regelzeit (also ohne Wiederholungsjahr) absolviert wird und sich der Studien- oder Ausbildungsbeginn nicht aus anderen Gründen verzögert.

          Durch die Beibehaltung des ursprünglichen Curriculums erhöht sich die Lernintensität für die Schüler in den letzten beiden Schuljahren deutlich, was eine Debatte um die Schulzeitverkürzung hervorgerufen hat. Die Fürsprecher erklären, dass das G8 zu einem effizienteren Lern- und Arbeitsstil führt und durch „Entrümpelung“ der Lehrpläne sowie durch die stärkere Fokussierung eher positiv, zumindest aber nicht negativ auf die Leistungen und weiteren Bildungsentscheidungen der Schüler wirkt. In gleicher Weise soll die konzentrierte Arbeitsweise auch zur persönlichen Reife beitragen. Die Kritiker bemängeln Überforderung und eine Verschlechterung der Leistungen und Bildungschancen für die G8-Abiturienten. Ebenso verweisen sie auf fehlende Reife der Abiturienten.

          Beide Hypothesen sind für sich genommen schlüssig und haben die Diskussion zusätzlich angefacht.

          Empirische Ergebnisse werden vernachlässigt

          Überraschend ist, dass belastbare empirische Ergebnisse und wissenschaftliche Erkenntnisse in der Debatte fast vollständig vernachlässigt werden. Das mag zum einen daran liegen, dass ein politisches Interesse an einer wissenschaftlichen Evaluation der Reformwirkungen nicht erkennbar ist. Diese Haltung ist vor dem Hintergrund der weitreichenden Folgen der Reform und der großen Zahl von Betroffenen sehr kritisch zu sehen. Denn nur eine unabhängige und ergebnisoffene Evaluation kann die Wirkungen der Reform identifizieren. Ungewollt trägt die politische Verweigerung daher zu noch größerer Skepsis und Verdrossenheit bei. Diese Unklarheit über die tatsächlichen Wirkungen ist sicher auch ein Grund für Überlegungen in Hessen oder Bayern, die Reform teilweise rückgängig zu machen oder ein G8- und G9-Abitur zu ermöglichen.

          Empirische Analysen und Ergebnisse zu den Wirkungen sind aber durchaus verfügbar. In einem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt untersuchen Mitarbeiter des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung (NIW) Hannover die Effekte der Reform in Sachsen-Anhalt. Hier wurde die Schulzeitverkürzung im Jahr 2003 für Schüler in der damals 9. Klasse eingeführt und mit dem Doppelabitur im Jahr 2007 abgeschlossen. Für die Studien wurden Absolventen des Doppelabiturjahrgangs schriftlich befragt.

          Abiturleistungen, Bildungsentscheidungen und Persönlichkeitsentwicklung im Fokus

          Das NIW interessieren vor allem die direkten Effekte der Reform. Im Fokus standen hierzu bereits die Wirkungen auf die Leistungen im Abitur, die Bildungsentscheidungen und die Persönlichkeitsentwicklung. Um den Reformeffekt zu bestimmen, müssen alle übrigen Faktoren, welche die interessierenden Größen beeinflussen, in beiden Jahrgängen vergleichbar sein. Beispiele dafür sind Unterschiede zwischen Schulen oder Schülern, die nicht mit der Reform zusammenhängen, wie der Ort der Schule, die Größe und Qualität des Lehrerkollegiums, die Klassengrößen und das Lehrangebot. Fähigkeiten, familiärer Hintergrund und außerschulische Aktivitäten spiegeln neben anderem wichtige Unterschiede der Schüler wider. Da solche Faktoren nicht in jedem Fall für G8 und G9 vergleichbar sind, verwenden die Forscher statistische Verfahren, um sie vergleichbar zu machen.

          Aus demselben Grund besitzt auch der direkte Vergleich der Durchschnittsnoten im Abitur wenig Aussagekraft. Aufgrund der bestehenden Wahlmöglichkeiten können Schüler im G8 andere Fächerkombinationen bevorzugen als im G9. In der Durchschnittsnote spiegelt sich dementsprechend neben dem Leistungsstand auch die Fächerwahl. Die Gegenüberstellung der Abiturdurchschnittsnoten, wie von den Kultusministerien der Länder ausgewiesen, reicht daher nicht aus, um Unterschiede oder Übereinstimmungen zwischen G8 und G9 zu zeigen.

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