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Platons Rednerschule : Sag es treffender

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Große Geste: Donald Trump vor dem Kongress Bild: dpa

Ist die Rhetorik nur die Dienstmagd der Philosophie? Donald Trumps öffentliches Wirken wirft neue Fragen an die Redekunst auf. Kann man sie mit Platon beantworten?

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          Die Kunst der Rede ist wieder in Verruf geraten. Schuld hat der amerikanische Präsident. Bernd Ulrich behauptete unlängst in der „Zeit“, dass Donald Trump mit Worten spekuliere wie mit Geld. Kann man dem Phänomen mit einer historischen Einordnung beikommen? Fachleute für die griechische Antike verweisen auf die griechische Antike: Hier wird man bei den sogenannten Sophisten fündig, wendigen Rednern, die vor allem bei Platon als selbsternannte Aufklärer und Redelehrer auftreten, um ihre Sicht auf die Dinge, gerüchteweise für stattliche Summen, unters Volk zu bringen.

          Platon zeigt sich tief irritiert über die sophistische Rhetorik, da sie sich von dem Anspruch, die Wahrheit zu finden, verabschiedet habe. Die Gräzistin Gyburg Uhlmann hat Trump in Artikeln der F.A.Z. und im „Merkur“ (Heft 834, November 2018 / Verlag Klett-Cotta) in die Tradition eines sophistischen Kalküls gestellt, das die rein manipulative Rede favorisiert. Aber können wir unterteilen in Redner, die „gut“ sind, weil sie auf die Erkenntnis der Wahrheit setzen, und in Redner, die „schlecht“ sind, weil sie davon Abstand nehmen? Das hieße doch, die Rhetorik auf ein Dasein als Dienstmagd der Philosophie zu verkürzen.

          Diese Herabwürdigung hat eine lange Tradition. Doch ist Rhetorik weitaus mehr: auch die Spielwiese der intellektuellen Skepsis und der Wahrscheinlichkeitstheorie. Insofern das Reden in Theorie und Praxis eine Kunst bezeichnet, hätte „schlechte“ oder „bloße“ Rhetorik als Oxymoron zu gelten. Unter den führenden Sophisten befanden sich überzeugte Erkenntnisskeptiker, die an der Sprache und ihren vielfältigen intellektuellen wie sozialen Möglichkeiten interessiert waren. Uhlmanns Fachkollege Jonas Grethlein hat sich in der F.A.Z. erstaunt darüber geäußert, dass sie Platons Bild der Sophisten als skrupellose Wortverdreher übernehme. Tatsächlich sind die Dinge bei Platon von jeher kompliziert. Keineswegs nämlich ist er ein erbitterter Feind der Rhetorik, die auch er nur eingeschränkt für die politischen Kalamitäten seiner Zeit verantwortlich machen kann.

          Der neue Typus des polternden Politikers

          Gerade im Blick auf Platon sollten wir unser philologisches Auge schulen. Helfen dabei kann der Marburger Gräzist Arbogast Schmitt, der gezeigt hat, wie stark das moderne Platonbild von den Rezeptionsschichten verdeckt wird. In der bei Carl Winter verlegten Festschrift zu Schmitts fünfundsiebzigstem Geburtstag („Gnothi sauton“. Hrsg. von Brigitte Kappl und Sven Meier) ist es jetzt seine Marburger Nachfolgerin Sabine Föllinger, die darlegt, dass „Die Rolle der Rhetorik in Platons Nomoi“ durchaus vielfältig ist. In Anknüpfung an Schmitt zeigt Föllinger, dass sich in der breiten Semantik der „Peitho“, der Kunst der Überredung und Überzeugung, die verschiedenen diskursiven Potentiale der Rhetorik spiegeln.

          Ausgangspunkt der Argumentation des Aufsatzes ist Platons so einfache wie brisante Sozialdiagnose: Eine Rhetorik, die ausschließlich auf Argumente setze, könne nun einmal nicht alle Menschen erreichen; deshalb müsse sie „unterschiedlichen kognitiven Begabungen gerecht“ werden. Diese Rhetorik genügt also den Ansprüchen an die Verschiedenheit der Menschen, wenn sie freilich auch keine wohlklingenden Gleichheitsgrundsätze anbietet. Grundlegend bleibt der Sachbezug der Rede und ein, wenn auch vages, Vertrauen in die „prinzipielle Einsichtsfähigkeit aller Menschen“. Ziel muss die Vermittlung von als sinnvoll erachteten Überzeugungen sein. Für diesen Vermittlungsakt bedarf es auf Seiten des Redners psychologischer Kenntnisse, die ihn zur Einschätzung der Hörerstimmungen befähigen, nicht aber zu Missbrauch und Manipulation verführen sollten.

          Um die Erkenntnisschwäche der zu überzeugenden Masse zu kompensieren, darf der Redner auch auf nichtdiskursive Elemente wie die Mythologie zurückgreifen. Unterschätzen sollte er seine Hörer – und Leser – jedoch nicht. Schließlich soll die Rhetorik die Bürger in ihrer Gesamtheit zur Verfolgung gerechter Ziele motivieren, was immerhin ein glückliches Leben in Aussicht stellt. Zusammenhalt entsteht demnach dort, wo sich Individuen an denselben Werten orientieren und einsehen, dass sie politische Vorgaben – bei Platon geht es um verabschiedete Gesetze – auch befolgen müssen, am besten aus Überzeugung, mindestens aber aus Respekt gegenüber dem übergeordneten Ziel. Die „Gewalt“ von Gesetz und Politik stellt sich in dieser Konzeption als sanfte dar.

          Was dürfen wir daraus folgern? Eine Redekunst, die ihren Namen verdient, wird stets bedenken, dass sie verschiedene Menschen in all ihren Facetten anspricht. Vor allem aber wird eine solche Redekunst nicht verleugnen, dass sie einer intellektuellen Haltung entspringt. Unter diesen Gesichtspunkten sind Vergleiche zwischen antiker und aktueller politischer Beredsamkeit zum Scheitern verurteilt: Der neue Typus des polternden, sich dezidiert antiintellektuell gebenden Politikers hat in der Antike keine nennenswerten Vorbilder. Nicht in Platons Figurenkabinett, nicht bei den uns bekannten Sophisten, nicht bei Cicero. Selbst der alte Cato, Inbegriff des instinktsicher-volkstümlichen, rhetorikkritischen Römers, dürfte sich bedanken, wenn man ihn zum Ahnherrn dieser Spezies machen wollte.

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