Resolution von Münster : Es geht um unsere Sache
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Wo kann man hier für Ausländer unterschreiben? Der Vorschlag, die Resolution im Format einer Internetpetition zu veröffentlichen, um nach dem Historikertag die erwartete wachsende Zustimmung zu messen und zu dokumentieren, wurde auf der Mitgliederversammlung nicht aufgegriffen. Bild: mauritius images
Der Erfolg des Rechtspopulismus berührt das Geschäft der Historikerinnen und Historiker. Darum hat sich die Mitgliederversammlung ihres Verbandes unter Einhaltung demokratischer Spielregeln zur Lage der Demokratie geäußert.
Die Münsteraner Resolution des Verbandes der Historikerinnen und Historiker Deutschlands (VHD) zu „gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“ hat in verschiedener Hinsicht einen Nerv getroffen: einerseits denjenigen der versammelten Mitglieder, die ihr mit einer sehr großen Mehrheit zustimmten, wie selten bei Resolutionen in der Vergangenheit. Andererseits hat sie einige Kommentatoren angestachelt, sie als eine tagespolitische, „regierungskonforme“ Erklärung zu lesen, obgleich sie ausdrücklich eine Erklärung zu den Bedrohungen der demokratischen Grundlagen in Deutschland und anderen Ländern ist. Schließlich hat sie einige wenige Mitglieder veranlasst, dem Verband öffentlich vorzuwerfen, er habe seine Befugnisse überschritten.
Wir gehören zu den Unterstützern der Resolution und begrüßen eine Diskussion über die Aufgaben der Geschichtswissenschaft angesichts von Gegenwartsproblemen. Diese anzustoßen war eine der Intentionen der Resolution. Streit gehört zum Wesen der Demokratie, wie Khadija Arib, die Vorsitzende der niederländischen Abgeordnetenkammer, in ihrer Festrede zur Eröffnung des Historikertages treffend bemerkte. Dass es um eine „geschlossene Einheitsfront der Wohlmeinenden“ ging, ist hingegen eine Wahrnehmung, die sich in keiner Weise auf die Resolution stützen kann.
Dominik Geppert und Peter Hoeres haben an dieser Stelle vor einer Woche behauptet, dass die Erklärung unter „Gruppendruck und Zwang zum öffentlichen Bekenntnis“ zustande gekommen sei. Sie stellen indirekt die Legitimität ihrer Verabschiedung in Frage und bezweifeln ausdrücklich, dass die Einhaltung demokratischer Regeln, Fairness in der Diskussion und eine pluralistische Streitkultur bei den deutschen Historikern in guten Händen liege. Für diejenigen, die nicht in Münster dabei waren: Der Resolutionsentwurf kam aus dem Kreis der Mitglieder. Anders als Ralf Behrwald in derselben Ausgabe dieser Zeitung schrieb, ist die Entscheidung des Vorstands, sie in die Mitgliederversammlung einzubringen, nicht schwer verständlich, sondern selbstverständlich. Sonst hätte dieser gegen Vereinsregeln verstoßen.
Wie bei Resolutionen und Entscheidungen üblich
Da die Resolution grundlegende Fragen zur Aufgabe der Geschichtswissenschaft berührt, hat der Vorstand am Vorabend der Mitgliederversammlung eine zusätzliche Sektion dazu eingerichtet. Ein vollbesetzter Hörsaal diskutierte die politische Relevanz von Geschichtswissenschaft heute und stritt darüber, ob Historikerinnen und Historiker ihre akademische Komfortzone angesichts des europaweiten Aufstiegs des Rechtspopulismus verlassen sollten. Auf der Mitgliederversammlung wurde ein im Lichte dieser Diskussion überarbeiteter Entwurf zur Debatte gestellt. Es gab selbstverständlich Rede und Gegenrede, an der sich viele Kolleginnen und Kollegen beteiligten. Über textliche Änderungsvorschläge wurde einzeln abgestimmt und die Resolution per Handzeichen mit großer Mehrheit verabschiedet – wie bei Resolutionen und Entscheidungen üblich im Verband, außer bei Wahlen.
Die Behauptung, dass damit das ganze Fach „in Haft“ genommen worden sei, weil „anerkannte Kollegen“ mittlerweile den Historikertag und die Mitgliederversammlung mieden, entspricht nicht den Tatsachen. Ein Blick in das Veranstaltungsprogramm belegt die breite, aktive Beteiligung renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie von Postdocs und Promovierenden. In Münster waren 3700 Personen angemeldet, gegenüber 3100 im Jahr 2012 in Mainz. An der Mitgliederversammlung haben ausweislich der Ausschusswahlen etwa 340 im Vergleich zu 260 Mitgliedern sechs Jahre zuvor teilgenommen. Das ist ein sogar etwas höherer Anteil der Mitgliedschaft als in der Vergangenheit. Stimmen zählen in demokratischen Verfahren im Übrigen gleich, ob es sich um „anerkannte“ Personen handelt oder nicht.
Die Anwesenden und Diskutierenden als Teil einer „linksliberalen Komfortzone“ zu bezeichnen hängt vom Sehepunkt ab. Eine solche, auf politische Lagerbildung angelegte Charakterisierung des VHD und seiner Mitglieder entspricht jedoch nicht der tatsächlichen Vielfalt im Verband und schon gar nicht den Zielen des gewählten Vorstands und Ausschusses, der das Fach in seiner ganzen epochalen und wissenschaftlichen Breite vertritt.
Profilierung mit geschichtspolitischen Vorstößen
Kritiker bezeichnen die Resolution als „regierungstreu“ oder interpretieren sie sogar als Verteidigung der Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel. Tatsächlich spricht sich die Resolution nicht für bestimmte Politiken aus, sondern ruft dazu auf, „durch die Analyse historischer Entwicklungen auch zur besseren Wahrnehmung von Gegenwartsproblemen beizutragen“. Sie erklärt Streit für essentiell für den Fortbestand der pluralistischen Gesellschaft und der demokratischen Institutionen, tritt aber auf der Basis historischer Erfahrungen und Einsichten für bestimmte Grundlagen ein: für eine historisch sensible Sprache, für parlamentarische Demokratie und pluralistische Streitkultur, für ein gemeinsam handelndes Europa, für Humanität und Recht im Umgang mit Migration sowie für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Das sind wesentliche Elemente, auf deren Basis auch eine freie und nicht politisch gesteuerte geschichtswissenschaftliche Forschung möglich ist.
Welche Punkte fehlen oder anders zu gewichten sind und wie wir die Gegenwart im Lichte der Geschichte deuten, darüber sollten wir weiter debattieren. Eine solche inhaltliche Diskussion würde eine weitere Intention der Resolution erfüllen. Mit einem Verweis auf die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft die Wissenschaft und die historische Zunft zum „vor- und außerpolitischen Raum“ zu erklären und damit eine Diskussion über ihre allgemein- und auch verfassungspolitischen Grundlagen als „traurige Gedankenlosigkeit“ (Behrwald) abzulehnen, ist wenig überzeugend. Ebenso wurde unter Verweis auf Wortmeldungen in der Mitgliederversammlung der Vorwurf erhoben, die Historiker wollten sich der AfD „in den Weg“ stellen, und die einseitige Stoßrichtung „gegen rechts“ bedeute, dass „Antifaschismus wieder angesagt“ sei. Genauso wenig, wie sich die Resolution für eine Partei ausspricht, wendet sie sich explizit gegen eine Partei. Dass viele der Haltungen, gegen die sie sich ausspricht, in der AfD gepflegt werden, wurde nicht bestritten. Aber man findet solche Einstellungen nicht nur dort.
Sollen und dürfen sich Historiker zum aktuellen Rechtspopulismus und -extremismus äußern? Eingewendet wurde, dass dies eine Einmischung in tagespolitische Fragen sei. Der Erfolg rechtsextremer und -populistischer Bewegungen in Deutschland und Europa berührt jedoch in mehrfacher Hinsicht das Geschäft der Historikerinnen und Historiker. Denn erstens profiliert sich diese Rechte regelmäßig mit geschichtspolitischen Vorstößen, insbesondere mit der Relativierung der Verbrechen während des Nationalsozialismus und der Idealisierung der deutschen Nationalgeschichte. Dies fordert die Geschichtswissenschaft dazu heraus, derartigen Deutungen zu begegnen. Entsprechend tritt die Resolution der Verbandsmitglieder für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte ein.
Ursachen für Gegenwartsprobleme erforschen
Zweitens zeichnen sich die rechten Bewegungen durch eine Sprache aus, die an völkische Strömungen der zwanziger und dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts anschließt. Begriffe wie „Lügenpresse“, „Volksverräter“ oder der Kampf gegen die „internationalen Eliten“ haben hier ihren Ursprung. Gleiches gilt für den vermeintlich homogenen „Volkswillen“. Derartige historische Begriffe einzuordnen und zu bewerten ist durchaus eine Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Daher fordert die Resolution eine Sprache, die von derartigen demagogischen Ausgrenzungen absieht und pluralistische Auseinandersetzungen akzeptiert.
Drittens erleben wir in europäischen Nachbarländern schon, wie rechtspopulistische Regierungen geschichtspolitische Vorgaben durchsetzen. In Polen werden Museen und Schulbücher durch Regierungsanweisungen umgestaltet und Gesetze erlassen, die das Ansehen der Nation vor kritischen Historikern und Historikerinnen schützen sollen. In Ungarn werden unabhängige sozial- und geisteswissenschaftliche Forschungseinrichtungen abgewickelt. Derartige Vorstöße berühren mittlerweile so stark die Freiheit der Wissenschaften, dass Schweigen unter Verweis auf die „Autonomie der Wissenschaften“ als keine angemessene Reaktion mehr erscheint. Vielmehr spricht einiges dafür, ausdrücklich für ihre Sicherung einzutreten.
Die bundesdeutsche Demokratie ist gefestigter als die späte Weimarer Republik und ihre sozioökonomische Situation eine andere. Allerdings haben die Entwicklungen in vielen Nachbarländern gezeigt, wie unerwartet schnell Regierungen kippen können. Auch die Reaktion auf die als „staatstragend“ verspottete Mitglieder-Resolution, nicht nur in sozialen Netzwerken, belegt diese Verschiebung der politischen Mitte – in der Sprache, den Zuordnungen und im Ton. Von der Geschichtswissenschaft wird „politische Neutralität“ eingefordert, aber mit politischen Argumenten, die von Lagerdenken geprägt sind. Fraglich ist, ob der Aufschrei, der die Resolution mit dem „Mord an Millionen Menschen“ verbindet (so Michael Wolffsohn in seinem an dieser Stelle vor einer Woche dokumentierten Brief an die Geschäftsführerin des VHD) oder als „linksliberale Komfortzone“ denunziert, nicht mehr zum Aufstieg von Rechtspopulisten beiträgt, als es angeblich die Erklärung des VHD tut.
Die Resolution fordert dazu auf, Ursachen für Gegenwartsprobleme zu erforschen. Blickt die Geschichtswissenschaft dabei mit ihren Forschungen zu stark auf die Rechte? Wenn man die Geschichtsschreibung zur Bundesrepublik betrachtet, sicherlich nicht. So liegen zahllose Studien zur Geschichte der Linken vor, sei es zu Achtundsechzig, zur RAF, zu marxistischen Splittergruppen und sozialen Bewegungen. Dagegen wurde der extremen Rechten, ihren Wehrsportgruppen oder Vereinigungen bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Selbst das bislang blutigste Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik, der von einem Rechtsextremen verübte terroristische Anschlag beim Oktoberfest 1980, hat bisher keine aktengestützte Aufarbeitung gefunden. Ein Grund dafür mag sein, dass viele Akten verschwunden und besonders lange gesperrt sind. Aber vielleicht schien die extreme Rechte bislang zu unbedeutend, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Mittlerweile wurde eine dreistellige Zahl von Menschen durch rechtsextreme Anschläge ermordet. Allein dies könnte und sollte das Thema relevant genug für die deutsche Geschichtswissenschaft machen.
Der erstarkte Rechtspopulismus betrifft die Geschichtswissenschaften also durchaus in ihrer Aufgabe „Gegenwartsprobleme besser wahrzunehmen und ihre Ursachen herauszuarbeiten“, wie die Resolution erklärt, aber auch hinsichtlich der Gefährdung der Grundlagen für eine freie Forschung. Es lässt sich noch nicht absehen, wie der Einzug von Rechtspopulisten in Parlamente und Aufsichtsgremien von Forschungsinstituten, Gedenkstätten oder Landeszentralen für politische Bildung historisches Arbeiten beeinflusst. Auf der Mitgliederversammlung meldeten sich davon schon Betroffene eindrücklich zu Wort. Die Resolution ruft dennoch nicht nur „gegen rechts“, sondern allgemein dazu auf, den Angriffen auf demokratische Institutionen durch die Analyse historischer Entwicklungen und durch das Einhalten bestimmter Grundsätze und Werte entgegenzutreten. Diskutieren wir weiter über die historischen Bedingungen unserer demokratischen Gesellschaft und den Beitrag, den die Geschichtswissenschaft dazu leisten kann!