Konsum und Einkommen : Wofür wir arbeiten
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Weihnachtsgeschäft: Für die meisten Geschenke müssen wir heute weniger arbeiten als früher. Bild: dpa
Wir haben das Gefühl, dass alles immer teurer wird, und hecheln dem Konsum hinterher. Dabei müssen wir heute für viele Dinge wesentlich weniger arbeiten als unsere Eltern.
Oh, Stress, lass nach! Viele Deutsche sehnen die Weihnachtszeit herbei, um endlich mal ein bisschen abzuschalten vom hektischen Arbeitsalltag. Was war das schließlich wieder für ein Jahr! Und erst der Endspurt: Jahresabschluss, Zielvereinbarungen und dann die ganzen Weihnachtsfeiern ... Kein Wunder, dass wir zum Volk der gestressten Arbeitnehmer mutieren. Nach dem „Rücken“ haben es die „psychischen Erkrankungen“ schon auf Platz zwei der häufigsten Gründe für Fehltage am Arbeitsplatz geschafft. Jeden Tag aufs Neue hinein ins Hamsterrad und permanent erreichbar sein ist anstrengend, da gerät die Work-Life-Balance schnell mal aus dem Gleichgewicht, und manch einer fragt sich gerade während der besinnlichen Feiertag: Wozu das Ganze?
Der älteste Zweck von Arbeit ist schlicht, das eigene Überleben zu sichern. Der Mensch muss essen, trinken, wohnen, will seine materiellen Bedürfnisse stillen und, wie es in der Moderne heißt, konsumieren – am besten hemmungslos. Spätestens aber die Einführung des Euro hat unter dem Schlagwort „Teuro“ das Gefühl ins uns erweckt, mittlerweile deutlich mehr ackern zu müssen, als das früher noch der Fall war, um sich mal „ein bisschen was leisten“ zu können. Und haben nicht auch gerade die Reallöhne wieder etwas nachgegeben?
Wissenschaftler des Instituts der deutschen Wirtschaft haben deshalb die Preise den durchschnittlichen Löhnen und Gehältern gegenübergestellt und ermittelt, wie sich die Kaufkraft der einzelnen Lohnminute in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Und siehe da: Die meisten Güter des täglichen Gebrauchs sind heute viel schneller zu haben als früher. Besonders deutlich wird der Vergleich mit der Zeit des Wirtschaftswunders. Verdiente man in den sechziger Jahren noch umgerechnet rund 1,30 Euro je Stunde netto, waren es 2012 schon fast 16 Euro. Mussten die Deutschen vor rund einem halben Jahrhundert für einen Röhrenfernseher somit noch rund 42 Tage, also sechs Wochen, schuften, genügen heutzutage für ein modernes Flachbildgerät mit 37 Zoll läppische vier Tage.
Eine durchschnittliche Waschmaschine ist nach drei Tagen erwirtschaftet statt wie früher nach 27, und das Damenkleid braucht nur noch eine Acht-Stunden-Schicht anstelle von dreien. Und erst die Grundnahrungsmittel: Drei Minuten für die Milch, vier für die Butter, sieben für die Eier und zehn für das Brot – in einer halben Stunde ist heute der Frühstückstisch gedeckt, einzig das Paket Kaffee ist mit 21 Minuten etwas mehr Anstrengung wert. Nur Strom und Benzin haben in der Bilanz zumindest seit der Wiedervereinigung angezogen. Für eine durchschnittliche Tankfüllung muss heute fast zwei Stunden länger geackert werden als nach der Wende. Doch können vor allem Zapfsäule und Stromzähler das Gefühl hervorrufen, dass trotz steigender Arbeitsbelastung das Geld nie reicht? Wohl kaum.
Gestiegene Ansprüche
Der Grund dürfte vielmehr in den gestiegenen Ansprüchen liegen. Bis in die achtziger Jahre hinein galt hierzulande ein Zweitauto für eine normale Familie noch als absoluter Luxus, die Leute fuhren häufig in Fahrgemeinschaften zur Arbeit. Heute hingegen geraten sich selbst in kleinbürgerlichen Vorortsiedlungen die Nachbarn in die Haare, weil auch die breitesten Bürgersteige vor den Ein- und Zweifamilienhäuschen nicht mehr genügend Stellfläche für die Karossen aller Anwohner bieten; waren damals Fernreisen einer exklusiven Oberschicht vorbehalten, während der Durchschnittsbürger – gern mit Wohnwagen – an den Gardasee oder die Costa Brava pilgerte, gilt heute schon jeder Grundschüler ohne Robinson-Club-Erfahrung als potentielles Mobbingopfer; und musste früher am Samstagvorabend noch mühsam ein Kompromiss zwischen „Sportschau“ und dem „Haus am Eaton Place“ gefunden werden, schaut man heute auf Zweit- und Drittfernsehern simultan und jeder für sich. Müssen wir vielleicht immer mehr arbeiten, weil es halt auch von allem immer noch ein bissel mehr sein darf?