Arbeitsmarkt : Warum Arbeitgeber sich von der Behinderten-Quote freikaufen
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Integriert: Viele Arbeitgeber schätzen Mitarbeiter mit Behinderung. Bild: dpa
Arbeitgeber müssen Menschen mit Behinderung beschäftigen. Viele kaufen sich jedoch von dieser Pflicht frei. Kurios: Nur so kann das System funktionieren.
Die gesetzlichen Vorgaben sind klar: Unternehmen in Deutschland mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen mindestens 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Strafe zahlen.
Schaut man in die offizielle Statistik, zeigt sich zunächst ein ganz ordentliches Bild: Für ganz Deutschland beträgt die Quote 4,6 Prozent, die Vorgabe ist damit fast erfüllt. Doch der Mittelwert täuscht über erhebliche Unterschiede hinweg. Denn während große Unternehmen häufig einen deutlich größeren Anteil als 5 Prozent vorweisen können, besetzen kleine und mittelständische Unternehmen gerade mal die Hälfte ihrer Pflichtarbeitsplätze. Als Faustregel gilt: Je kleiner die Unternehmen, desto schlechter die Quote. Rund 37.000 der deutschen Arbeitgeber haben sogar keinen einzigen Mitarbeiter mit Behinderung. Das entspricht einem Anteil von 26 Prozent.
Die Höhe der in solchen Fällen zu leistenden Ausgleichsabgabe hängt von der Größe des Unternehmens und der Anzahl der Beschäftigten mit Behinderung ab. Für einen Arbeitgeber mit 100 Beschäftigten und einer Quote unter 2 Prozent wird zum Beispiel eine Strafe von rund 17 000 Euro fällig. Das erscheint aus Sicht des Unternehmens nicht besonders viel. Drücken sich also viele Unternehmen schlicht vor ihrer sozialen Verantwortung und kaufen sich mit der Abgabe lieber bequem frei?
Scheu vor bürokratischem Aufwand
Die Arbeitgeber wehren sich naturgemäß gegen solche Vorwürfe. Viele Unternehmen wüssten zunächst gar nicht, dass ihnen fachliche und finanzielle Unterstützung bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung zusteht. „Dieser Mangel an Information führt dazu, dass viele sich nicht trauen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen“, erklärt Astrid Jaehn, Sprecherin des Unternehmens-Forums. Und einen Behindertenbeauftragten gebe es in den kleinen und mittelständischen Unternehmen nur selten. Große Unternehmen verfügten dagegen über ganze Abteilungen, die sich um diese Angelegenheiten kümmern. Auch wenn ein Arbeitnehmer nach einer Krankheit oder einem Unfall nicht mehr an seinen bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren kann, hätten es Konzerne leichter, etwas Neues zu finden. Für kleine Einheiten sei es dagegen schwer, die Betroffenen weiterzubeschäftigen.
Silvia Helbig vom Deutschen Gewerkschaftsbund sagt, ein weiteres Hindernis bestehe in der Scheu vor dem bürokratischen Aufwand, der nötig sei, wenn ein Mitarbeiter mit Behinderung eingestellt werden soll. Mittelständler sähen darin oft zusätzlichen Aufwand, von dem sie glaubten, ihn nicht leisten zu können. Dabei gibt es in ganz Deutschland staatliche Integrationsämter, deren Aufgabe es ist, sowohl Behinderte als auch Arbeitgeber in solchen Fragen zu beraten und zu begleiten. „Die Unterstützung ist meist da, aber die Hilfen der verschiedenen Stellen sind für viele Unternehmen unübersichtlich“, findet Gewerkschafterin Helbig.
Häufig stünden einem Beschäftigungsverhältnis auch Vorurteile im Weg, etwa dass Behinderte weniger belastbar seien als Menschen ohne Behinderung. Dabei sei das Gegenteil nicht selten der Fall, berichtet Helbig: „Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, berichten häufig von überdurchschnittlichem Engagement.“ Darüber hinaus verfügten Behinderte über besondere Fähigkeiten, die sie für bestimmte Aufgaben besser qualifizieren als andere. Das bestätigt auch eine aktuelle Veröffentlichung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Laut der Studie sind schwerbehinderte Arbeitslose im Schnitt besser qualifiziert als andere Arbeitslose. Deutschland verpasse damit, bestehendes Potential an Fachpersonal auch zu nutzen. Autisten könnten zum Beispiel mit außergewöhnlichen mathematischen Fähigkeiten aufwarten. Aber diese Möglichkeiten sähen viele Unternehmen nicht, sondern hätten durch die Vorurteile Barrieren im Kopf, meint Helbig.
„Es fehlt ein Türöffner zu den Unternehmen, die noch keine Menschen mit Behinderung beschäftigen“, sagt Maria Stillger vom Landeswohlfahrtverband in Wiesbaden, dem ein Integrationsamt angegliedert ist. Die Kontakt- und Beratungsarbeit mit den kooperierenden Unternehmen empfindet Stillger allerdings als gut. Es werde Infomaterial versandt, und Schulungen würden angeboten.
Christina Ramb von der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände führt die zum Teil niedrigen Behindertenquoten in den Belegschaften auch auf das mangelnde Angebot zurück. Viele Unternehmen würden ihrer Ansicht nach gerne mehr Menschen mit Behinderung einstellen und die Quoten erfüllen, sie fänden allerdings nicht die passenden Kandidaten. Das könne auch daran liegen, dass eine Behinderung nicht immer sichtbar sei und es viele gebe, die ihre Behinderung nicht thematisieren wollen. Rambs These wird auch von der Bundesagentur für Arbeit gestützt. Nach deren Angaben übersteigt nämlich die Zahl der Pflichtarbeitsplätze die der Arbeitslosen mit Behinderung.
Kurios an der ganzen Sache ist: Würden alle Unternehmen die Quote erfüllen, drohte dem System in seiner jetzigen Form der finanzielle Kollaps. Denn die Abgaben der Nichterfüller werden im Umlageverfahren an die Unternehmen verteilt, die Behinderte einstellen. Mit diesem Eingliederungszuschuss können nötige Umbauten oder Anschaffungen finanziert werden. Fielen diese Mittel weg, könnten entweder die Leistungen nicht mehr erbracht werden oder müssten neue Wege zur Finanzierung gefunden werden. Die Abgaben aller zahlungspflichtigen Unternehmen belief sich im Jahr 2011 auf 479 Millionen Euro.