Trotz Gesetz : Mehrheit der Wissenschaftler immer noch befristet
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Ständige Unsicherheit über die eigene Zukunft: Mehr als achtzig Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter haben keinen festen Arbeitsvertrag. Bild: dpa
Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes fällt erwartbar negativ aus. Braucht man das Gesetz, das die Kettenverträge in der Wissenschaft rechtfertigt, überhaupt noch?
Mit der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Jahr 2016 reagierte die Politik auf die Misere des akademischen Mittelbaus erst, als diese nicht mehr ignoriert werden konnte. Mehr als achtzig Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter unterhalb der Professur haben an deutschen Universitäten bekanntlich keinen festen Vertrag und leben in dauernder Unsicherheit über ihre Zukunft. Dass die Gesetzesnovelle nicht mehr als die gröbsten Verwerfungen glätten würde, war von Anfang an klar. Sie band die Vertragslaufzeiten erstmals an Qualifikationsziele wie Promotion und Habilitation sowie an die Laufzeit von Drittmittelprojekten und forderte die Hochschulen auf, Befristungen sachlich zu begründen.
Am Freitag hat das Bundesforschungsministerium nun die lang erwartete Evaluation des Gesetzes vorgelegt. Die Fortschritte sind minimal und zuletzt sogar wieder rückläufig. Das mag daran liegen, dass die Universitäten mittlerweile bemerkt haben, dass ihnen das Gesetz in der Praxis kaum Schranken setzt. Die Vertragslaufzeiten von Universitätsmitarbeitern vor der Promotion sind von durchschnittlich 14,6 im Jahr 2015 auf zeitweise 21,2 Monate (2017) gestiegen und 2020 wieder auf 17,6 Monate abgerutscht. Die von Postdocs stiegen im selben Zeitraum mit einem ähnlichen Zwischenhoch von 16,9 auf 17,6 Monate.
Die Quote der befristeten Wissenschaftler unterhalb der Professur liegt immer noch bei 81 Prozent und damit genauso hoch wie vor zehn Jahren. Rechnet man die Doktoranden heraus, die nur zum Teil (zum Teil aber eben auch doch) eine wissenschaftliche Karriere anstreben, liegt sie an den Universitäten bei 62 Prozent. Besonders bedenklich ist, dass 42 Prozent der Verträge immer noch eine Laufzeit von weniger als einem Jahr haben. 2015 waren es 52 Prozent gewesen. Von einem Erfolg der Novelle ist trotzdem schwer zu sprechen. Die Ampelregierung hat sich eine abermalige Reform schon in den Koalitionsvertrag geschrieben. Wo aber sollte sie ansetzen?
Es ist aufschlussreich, die Evaluation im Licht der Studie zu lesen, die das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft in etwa zeitgleich vorgelegt hat. Das Netzwerk hatte schon anlässlich der Auftragsvergabe an das HIS-Institut für Hochschulentwicklung kritisiert, dass die Analysekriterien zu eng gefasst seien und nur die relative Wirkung des Gesetzes untersuchten, den Nutzen oder Schaden des Gesetzes für die Wissenschaft aber nicht hinterfragten.
Negativer Eingriff in die Biographien der „besten Köpfe“
Die von Mathias Kuhnt, Tilman Reitz und Patrick Wöhrle verfasste Studie holt dies nach. Sie basiert auf einer Umfrage unter Wissenschaftlern unterhalb der Professur an 23 Universitäten. 4620 Fragebögen kamen zurück. Die Befristungsquote liegt auch hier bei achtzig Prozent. Die Studie ergänzt die Bundesevaluation um einige wichtige Aspekte. So hat ein Drittel der Befragten Teilzeitverträge, die gemeinhin als arbeitnehmerfreundliches Mittel gelten. Die Mehrheit der in Teilzeit beschäftigten Wissenschaftler möchte jedoch eigentlich Vollzeit arbeiten, darf dies aber nicht. Perfide wird dies dadurch, dass faktisch gerade von Teilzeitbeschäftigten mehr Überstunden verlangt oder zumindest geleistet werden.
Mit den Teilzeitverträgen beschaffen sich die Universitäten also unbezahlte Arbeitszeit auf Kosten der Wissenschaftler. Rund sechzig Prozent der Befragten geben an, dass die vereinbarten Vertragslaufzeiten nicht ausreichten, um ihr Qualifikationsziel zu erreichen. Die Universitäten seien außerdem sehr kreativ in der Definition von Qualifikationszielen, wenn es darum geht, sich billige und flexibel einsetzbare Arbeitskraft zu beschaffen. Auch das wird durch das Gesetz begünstigst, das in diesem Punkt so schwammig formuliert ist, dass kaum etwas eingeklagt werden kann. Viele Wissenschaftler haben in ihrer Laufbahn zudem Phasen der Arbeitslosigkeit, weil sich nicht immer sofort ein Anschlussvertrag findet.
Die Studie fragt auch danach, wie sich die Befristungspraxis auf das Leben der Betroffenen und die Wissenschaft auswirkt. 38 Prozent der Befragten stellen angesichts der permanenten Ungewissheit ihren Kinderwunsch zurück. Rund siebzig Prozent der Postdoktoranden meinen, dass befristete Arbeitsverhältnisse nach der Promotion die Lebensplanung unmöglich machen und sich negativ auf Partnerschaft und Privatleben auswirken. Dazu kommt der psychische Verschleiß durch den dauernden Ortswechsel. Darüber hinaus belegt die Studie empirisch, dass die Befristung den Konformitätsdruck verstärkt. Kritik wird zurückgehalten, um der Karriere nicht zu schaden. Vorgesetzte nutzen die verstärkte Abhängigkeit aus und verpflichten ihre Mitarbeiter auf unwissenschaftliche Tätigkeiten. Keines der Ergebnisse auf der fortsetzbaren Liste kommt überraschend.
Was erlaubt es der Bundesregierung und den Hochschulen, so negativ in die Biographien der Menschen einzugreifen, die sie so gern ihre „besten Köpfe“ nennen? Eigentlich nichts. Denn auch das Ziel, die Innovationskraft der Wissenschaft durch Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen anzukurbeln, hat das Gesetz, wie die Autoren anhand des nur leichten Anstiegs der Promotionen und Habilitationen belegen, den Zahlen nach verfehlt. Sie fordern die Abschaffung des deutschen Gesetzes, das für sie Teil einer Flexibilitätsideologie ist. Besserung wäre zumindest an eine frühere Auslese gebunden. Die Politik müsste dafür ihre Drittmittelmaschine bremsen, die die Nachfrage nach flexiblen Wanderarbeitern erst schafft.