Kolumne „Nine to five“ : Jagdszenen aus Niederbayern
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Sportliches Verhalten? Fehlanzeige. Auf dem Tennisplatz tragen Eltern ihre Konflikte aus. Bild: ddp
Von keifenden Müttern und pöbelnden Vätern: Wenn der Tennisplatz zum Bootcamp fürs Büro wird.
„Paul, den machste kalt!“ Heiß geht es her, wenn der Papa kommandiert. Paul gehorcht und sprintet von Ecke zu Ecke, wie besessen auf den Ball dreschend und Gegner Leo über den glühenden Platz scheuchend. „Kassier’ den ein, der ist schlechter als du!“ Der Tenniscourt als Kriegsschauplatz für Jugendliche. Dabei sind die Regeln streng, bei Reinplärren droht Spielabbruch. Wissend, dass kein Trainer in Sicht ist, flippen die Eltern mit Hasstiraden aus. Als Leo abermals der Aufschlag misslingt, branden Hohngelächter und Beifall auf. Die Eltern beklatschen den Fehler des Schwächeren, obgleich der ohnehin weit abgeschlagen ist.

Redakteurin in der Wirtschaft, zuständig für „Jugend schreibt“.
Ein Jugendturnier als Steilvorlage für Fairplay? Mitnichten. Ehrgeizlinge übertrumpfen sich und walzen Gegner rhetorisch nieder. Sie sind Naturtalente im „Winning Dirty“, darin, mit schmutzigen Tricks und Täuschungen den anderen zu verunsichern, ihm Verliererprognosen vorzuhalten, Fehler zu unterstellen, wendig zu lügen – je nachdem, was fürs eigene Kind gerade von Vorteil ist, war der Ball mal vor, mal hinter der Linie.
Beileibe geht es hier nicht um Fitness oder Freude, sondern ums Bootcamp fürs Büro. Papa feuert an: „Ich sag’s dir, Paul. Durchsetzen ist alles, das erlebe ich jeden Tag in der Firma.“ Mutti keift: „Lass dir nichts gefallen, du bist der Chef auf dem Platz, dafür reicht es bei Leo nicht.“ Das moralisch-miese Amateur-Match spielt sich in einer Kleinstadt im Niederbayrischen ab. Dabei geht es nicht mal um einen Pille-Palle-Pokal.
Niederbayern ist überall. An den Rändern der Fußballfelder toben weit wüstere Kämpfe. Nicht nur der Deutsche Fußballverband pocht auf 15-Meter-Abstand zu den Zuschauern. Ballverlust wird zum Kontrollverlust. Nach subjektiver Beobachtung ticken besonders häufig mittelmäßig begabte Eltern aus: Das Kind soll den Stellvertretersieg für die Erwachsenen einfahren. Die meisten Schiedsgerichtsverfahren gibt es in den jüngsten Jahrgängen.
Leo schlägt sich tapfer und verliert mit Würde. Mutig fasst sich der 17-Jährige ein Herz und spricht das Pöbelpaar an: „Finden Sie das ein sportliches Verhalten, meine Fehler zu beklatschen?“ Endlich wachen die dösenden Zaungäste auf, einige applaudieren ihm. Ein älterer Herr löst sich aus der Gruppe und reicht dem Geschlagenen seine Karte: „Unerschrockene Typen mit Respekt vor dem Gegner, das gefällt mir. Solche Praktikanten suchen wir. Melde dich mal.“