Molekularküche kann jeder (1) : So macht man Kaviar aus Bier
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Hat sich die Molekularküche überholt? Stehen die Zeichen derzeit nicht auf Natürlichkeit – contra Künstlichkeit?
Auch die Naturköche wie René Redzepi aus dem Noma in Kopenhagen, die fast ausschließlich regionale Produkte zu verwenden versuchen, arbeiten mit Rauch und Sphärisierung. Ein regionaler Koch hat im Winter nicht ausreichend Gemüse zur Hand, daher muss er sich im Sommer etwas einlegen und fermentieren, sodass er im Winter zum Beispiel über einen schönen Sud verfügt, mit dem er alles Mögliche machen kann – auch Sphären, Kügelchen und Gele. Das ist dann alles „molekular“.
Nehmen Sie saure Gurken. Viele schütten den Sud weg. Das ist völlig falsch. Man kann ihn mit ein wenig Xanthan aufmischen und bekommt eine schöne Creme, die hervorragend zum Braten oder zum Tafelspitz und vielen anderen Gerichten passt.
Das Interessante an der Molekularküche ist vielleicht auch: Es muss eigentlich kaum mehr etwas weggeworfen werfen. Man kann aus allem bei spezieller Behandlung etwas machen.
Ja, ich werfe fast nichts mehr weg, außer es ist angefault. Wenn ich vom Markt komme, wird als erstes das Karottengrün verarbeitet, dann habe ich für die ganze Woche ein Püree. Oder ich frittiere es und habe dann Chips als Knusperelemente.
Das Kochen hört dann bloß eigentlich nie auf. Und Sie müssen überall Flaschen, Dosen und Schraubgläser aufbewahren.
Das ist ja das Schöne. So habe ich immer eine Vielzahl von Komponenten zur Hand, die irgendwo als Kleckse oder Tupfen vorkommen können. Das macht das Leben reicher.
Wie steht es mit der Künstlichkeit der Molekularküche? Vor ungefähr zehn Jahren wurde das Thema heiß diskutiert. War und ist bei den Kritikern eine Doppelmoral im Spiel?
Da ist definitiv eine Doppelmoral im Spiel. Keines dieser Geliermittel ist auch nur annähernd ungesund. Leute, die Convenience-Gerichte gekauft haben, hatten das schon lange auf dem Teller. Man verwendet diese Mittel ja auch nicht jeden Tag in großen Mengen. Ich halte die Zusatzstoffe für komplett unkritisch, denn alle diese Mittel sind Pflanzenextrakte. Über Apfelpektin regt sich kein Mensch auf. Alginat klingt chemisch, aber in dem Wort steckt „Alge“ drin, und tatsächlich entspricht es dem Pektin der Algen. Agar Agar wird in asiatischen Kulturen schon seit Ewigkeiten verwendet. Die Stoffe, die in der Molekularbiologie verwendet werden, haben auch alle eine Biozulassung. Die meisten veganen Produkte wären ohne derartige Zusatzstoffe nicht denkbar. Ich habe kürzlich eine vegane Chorizo gekauft, da war an Zutaten alles drin, was in der Molekularküche Rang und Namen hat. Hinzu kommt: Ohne Hefeextrakt und Glutamat wäre die vegane Küche geschmacklos.
Könnte man sagen, dass die vegane Küche ohne Molekularküche nicht denkbar wäre?
Na klar, so ist es, jedenfalls was alle „Ersatzprodukte“ betrifft.
Wie könnte die Zukunft der Molekularküche aussehen?
Die Techniken, die sich durchgesetzt haben, werden mit Sicherheit bleiben, vor allem die Garmethoden. Die Molekularküche wird auch weiterhelfen bei der Resteverwertung. Stärker ausbreiten werden sich wohl auch Techniken wie das Kaltrühren von Konfitüren und Marmeladen. Und dann kommt es darauf an, wohin die Küche der Zukunft insgesamt geht. Wir werden sicher stärker vom Fleisch wegkommen. Es werden Algen zunehmen, es werden Insekten oder die in ihnen vorhandenen Proteine genutzt werden. Wenn man aus denen nun zum Beispiel burgerartige Lebensmittel formen wollte, käme die Molekularküche wieder ins Spiel, allein um die Bindung zu erzeugen.
Im Grunde sollten wir aber gar nicht von „Molekularküche“ reden, denn die Techniken sind letztlich von der Natur abgeschaut. Auch in der Alge festigt das Alginat über identische molekulare Mechanismen die Pflanzenzellen, genau wie das Pektin in Obst und Gemüse.
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Prof. Thomas A. Vilgis leitet am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz eine Arbeitsgruppe zur analytischen Theorie weicher Materie und forscht zu physikalischen Aspekten des Essens. Vilgis ist Mitherausgeber des „Journal Culinaire“ und hat zahlreiche Kochbücher veröffentlicht. Darunter:
„Das Molekül-Menü – molekulares Wissen für kreative Köche“. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2010
„Kochen für Angeber: die besten Tricks der Spitzenköche“. Stiftung Warentest, Berlin 2014
„Molekularküche – das Kochbuch“. Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2007
Rezept aus dem Video (1): Porterkaviar mit Räucherforelle, Joghurt und Pumpernickel
100 ml kräftiges Porter
1,5g Natriumalginat
1 EL Calciumlaktat
100g Räucherfisch („Haddock“) oder geräucherte Forelle aus heimischer Zucht
grobes Meersalz (ggf. Salzflocken/-pyramiden)
Naturjoghurt (stichfest)
Pumpernickel (am besten rund)
Süßrahmbutter
harzig-bittere Minikräuter (zum Beispiel Liebstöckel, Schafgarbe etc.)
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Den Joghurt gegebenenfalls abtropfen lassen.
Porter mit Alginat mixen und über Nacht stehen lassen
Portermix in eine Laborspritzflasche füllen.
Calciumlaktat in Wasser auflösen und den Portermix hineintropfen lassen, damit sich der Kaviar bildet.
Pumpernickel mit Butter bestreichen.
Die Räucherforelle „zupfen“ und auf dem gebutterten Pumpernickel verteilen.
Den Joghurt darauf dekorativ verteilen.
Den Bierkaviar großzügig darüber geben und mit den Kräutern dekorieren.
Mit wenigen groben Salzflocken bestreuen.
Dazu trinken wir sinnigerweise das Porter, oder ein Stout.
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Lerneffekt: Verkapselung mit Calcium und Alginat, Algenzellwände, ionische Wechselwirkungen, Oberflächenspannung.