Andres Veiel : Bilder aus dem Untergrund
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Nicht ganz der Vater: Andres Veiel Bild: Matthias Lüdecke / FAZ
Mit der Jungen Union in Schwaben hat er früh gebrochen, beschäftigte sich mit den Details des RAF-Terrorismus. So wurde Andres Veiel zu einem der führenden Filmemacher im Land.
Andres Veiel hat zwei Väter: einen leiblichen und einen ideellen. Und an beiden musste er sich abarbeiten, um der zu werden, der er ist: der wohl tiefgründigste, intensivste und am stärksten nach Antworten grabende Filmemacher Deutschlands. Sein leiblicher Vater, Wehrmachtsoffizier im Zweiten Weltkrieg und später Rechtsanwalt in Stuttgart, verkörpert für ihn das bürgerliche Leben, von dem er sich abgrenzen musste. Leistungsorientiert, ein glühender Anhänger der Marktwirtschaft, liberal-konservativ. Sein ideeller Vater, der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski, war Mentor und Förderer, aber auch Blockierer seiner Arbeit. „Meine ersten Filme habe ich mit dem Gefühl gemacht, sie können nicht gut sein, weil sie nicht seinen Segen hatten. Dieses Denkmal musste ich stürzen. Erst als er starb, merkte ich, dass ein Vater den anderen abgelöst hatte“, sagt Veiel.

Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Menschen und Wirtschaft“.
Der Dokumentarfilmer sitzt an einem heißen Sommertag in einem Café in Berlin-Kreuzberg. In derselben Straße wohnt er mit seiner Frau und seinem Sohn. Klein, fast schmächtig ist er, uneitel mit grünem T-Shirt, Jeans und Sandalen bekleidet. Zwei Wochen zuvor hat er seinen ersten Spielfilm abgedreht, der im kommenden Jahr ins Kino kommen soll. „Wer wenn nicht wir“ wird er nach einem Rudi-Dutschke-Zitat heißen. Der Film erzählt die Vorgeschichte der Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin und ihres früheren Lebensgefährten Bernward Vesper. „Wenn man lange genug recherchiert, kann man eine scheinbar bekannte Geschichte komplett neu erzählen“, erklärt er seine Motivation, einen bekannten Stoff neu zu bearbeiten. „Außerdem ist die Frage wichtig für die Zukunft. Wann eskalieren politische Gewaltprozesse?“
„Es lohnt sich, Zeitpläne über den Haufen zu werfen“
Diese Selbstreflexion zeigt, dass Veiel es sich nicht einfach macht. Er gehöre nicht zu den Filmemachern, die eine These haben und für diese dann Bilder sammeln. Der Oscar-Preisträger Michael Moore sei ein Gegenmodell, ein Agitator, der Werke als politische Waffe nutze, aber auch schon vor der Recherche alles wisse. Veiel weiß erst nachher, manchmal erst Jahre nachher, was der Kern eines Stoffs ist. „Von einer Überschrift aus dringe ich immer mehr ins Zentrum. Dann merke ich, je mehr ich grabe, desto interessanter wird es. Es lohnt sich also auch, Zeitpläne über den Haufen zu werfen.“
Viele der Beteiligten hatten deshalb schon die Sorge, dass er seinen aktuellen Film noch absagen würde. Denn zunächst musste sich Veiel am Vorgängerprojekt abarbeiten. „Nach sieben Monaten Recherche hatte ich sehr viel und machte ein Theaterstück und einen Film daraus. Erst dann aber öffneten sich viele meiner Gesprächspartner. Da habe ich die ganze Dimension verstanden“, sagt er über „Der Kick“.
Ausgangspunkt war eine schreckliche Meldung, die er in der Berliner U-Bahn las: Drei Jugendliche hatten in Brandenburg einen vierten misshandelt und dann schließlich nach dem Vorbild aus dem Film „American History X“ brutal ermordet. Erst Monate, nachdem der Fall mediale Wellen schlägt, reist Veiel an den Schauplatz und bringt nach und nach die Menschen zum Sprechen. Schon die Eltern entsprechen nicht dem erwarteten Klischee von Verwahrlosung und Alkoholismus. Das macht ihn neugierig.
Die Psychologie als Leidenschaft
Wie der amerikanische Autor Truman Capote in „Kaltblütig“ legt er Schicht um Schicht des Falls offen. Weil er ohne Kamera arbeiten muss, lässt er später zwei Schauspieler in verteilten Rollen die Originaltöne nachsprechen und -spielen. Doch aus den sieben Monaten Recherche werden drei Jahre. Erst nach Theaterstück und Buch findet er seine richtigen Antworten. Die Gewalt in Potzlow hatte familienübergreifende und soziohistorische Hintergründe, die sich nur durch viele Gespräche aufdecken ließen. „Das Filmemachen erlaubt mir den Luxus, meinen eigenen Fragen nachzugehen, und ist damit indirekt therapeutisch: Ich rede über andere und rede über mich selbst. Wenn ich eine Initialzündung habe, gibt es eine innere Notwendigkeit, den Stoff durchzuziehen“, versucht Veiel sich zu erklären.