Korruption, Karriere und Charakter : Ich, bestechlich?
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32. Stock im Hochhaus einer deutschen Großstadt, 100 Meter über den umliegenden Dächern. Es geht um nichts anderes als den schon lange ersehnten Traumjob. Nur einer der 100 Bewerber kann ihn haben, die letzten Kandidaten sind im Rennen. Was für den einen den entscheidenden Schub für seine Karriere bedeutet, endet für die anderen mit der schnellen Fahrt mit dem Fahrstuhl – nach unten. Einige Nettigkeiten werden beim Kaffee ausgetauscht, doch das kompetitive System hinter der Fassade bleibt mit der Angst, zu kurz zu kommen. „Der Preis muss nur hoch genug sein, dass ich meine Seele verkaufe“, sagt Absolvent Stefan Dobetzki*. Eigentlich verpackt als Scherz, geben dem 25-Jährigen internationale Studien zur aktuellen Korruptionspraxis recht.
Die persönliche Unehrlichkeit im Vorstellungsgespräch, aber auch die nicht bezahlte GEZ-Gebühr oder manche geschönte Angabe beim Bafög schaffen eine Kultur des Zurechtbiegens. „Eigentlich bin ich ja ganz anders“, beschwichtigt Dobetzki bei seinem Hotel-Frühstück. Genauso sehe er es auf Unternehmensebene. Manches will er dort oben ändern, vorausgesetzt, er bekommt die nächste Beförderung.
In 5 Jahren 25 Prozent mehr Korruption
Nach Schätzungen von Transparency International schmierten 2010 in Deutschland vier Prozent der Führungskräfte in Politik und Wirtschaft, im privaten Bereich waren dagegen nur 2 Prozent. Weltweit sieht die Organisation wesentlich düsterer aus, die Dunkelziffer ist groß. Jeder Vierte sei im Schnitt anfällig für Korruption, vor allem in Afrika und dem Nahen Osten.
Die Wirtschaftsprüfung KPMG ermittelte in einer Studie den typischen Wirtschaftskriminellen Deutschlands im Jahr 2011. Demnach ist er Mitte vierzig, blickt auf zehn Jahre Karriere im Unternehmen zurück, genießt bei seinen Mitarbeitern und Vorgesetzten viel Vertrauen. Trotz allgemein verschärfter Kontrollen und Compliance-Richtlinien wird immer mehr zwischen Unternehmen, aber auch Behörden geschmiert. 25 Prozent Zuwachs werden gegenüber einer Vergleichsstudie von 2007 verzeichnet.
Es ist die Klugheit der Bestechlichen, dass sie mit ihrem käuflichen Charakter nicht auffliegen. Bis zu 95 Prozent der Fälle würden nicht von der Justiz aufgedeckt, befürchtet der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner. Das große „Korruptionshandwerk“ werde weiterhin auf den Managementetagen betrieben, verschleiert vor der Öffentlichkeit. Im Kampf gegen Korruption verlangt die deutsche Justiz mehr Personal. „Es gibt zu viele Wirtschaftskriminelle, aber zu wenige Wirtschaftskriminalisten“, so Schaupensteiner.
Die Gründe, die den Charakter korrumpieren, sind vielschichtig. Zum einen ist es der selbst oder durch andere vermittelte Leistungsdruck, im Unternehmen möglichst keinen zu enttäuschen. Zum anderen werden in Studien von KPMG, PWC und anderen Wirtschaftsprüfern ebenso Veränderungen im privaten Umfeld genannt. So beeinflusse die persönliche Sozialisation im Unternehmen die Anfälligkeit gegenüber unmoralischen Angeboten. Widerstandsfähigkeit komme erst durch die Entwicklung eines eigenen „Wertebewusstseins“, so die Studie.
6 Prozent höheres Bruttoinlandsprodukt möglich
Vincent Menken hat als Büroleiter einer Politikberatung ein solches Wertebewusstsein mitbekommen. Vor allem der Nachwuchs in Politik und Wirtschaft wehre sich gegen unmoralische Angebote. „Ab wann man seinen Charakter korrumpieren lässt, ist eine höchst persönliche Wertefrage“ und sei „keine Frage des Alters“.
Ein stabiles soziales Netzwerk helfe betroffenen Managern, sich selbst und ihren Werten auch im Alltag treu zu bleiben. Familie, Freunde, auch Arbeitskollegen spielen also eine wichtige Rolle: „Sie können bei Gewissenskonflikten alarmieren“, so Menken. Gerade dann, wenn es um mehr Geld, Macht und Anerkennung gehe, wünscht er sich noch mehr Vorbilder.
Diese Vorbilder sind vor allem weiblich. Frauen lassen sich angeblich deutlich weniger korrumpieren als Männer. Johann Graf Lambsdorff, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Passau, fand dies in einer Studie für Transparency International heraus. Männer fühlen sich demnach genötigt, nach Geschenken dem Schenkenden etwas zurückzugeben. Frauen würden sich dagegen nicht dazu verpflichtet sehen, seien in Charakter und Karriereverlauf sogar „korruptionsresistenter“, so Lambsdorff.
Mit der Entwicklung eines internationalen Korruptionsindexes gehört der 46-Jährige zu den renommiertesten Experten dieses Gebiets. Lambsdorff erforscht die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Korruption. Gäbe es in Deutschland keine Bestechung, wäre die Wirtschaftsleistung wohl deutlich höher. Das Bruttoinlandsprodukt, der Gesamtwert aller Produkte
und Dienstleistungen, die pro Jahr hergestellt werden, könnte bis zu sechs Prozent steigen, schätzt Lambsdorff. Stimmt seine Einschätzung, hätten die Deutschen im letzten Jahr bis zu 200 Milliarden Euro mehr verdient.
* Name von der Redaktion geändert