Kolumne „Uni live“ : Vorlesung zum Einschlafen
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Einer liest, viele hören zu: Szene an der Uni Tübingen Bild: dpa
Sie hören gern ihre eigene Stimme oder verwechseln eine Vorlesung mit einer Lesung ihres eigenen brandneu erschienenen Fachbuchs: frontal lehrende Profs alter Schule. Bitte, bitte, etwas mehr Interaktion!
Alle reden durcheinander. Keiner achtet auf den kleinen Mann, der leise den Saal betritt und schnellen Fußes gen Pult läuft. Erst als er, leicht verloren wirkend, testweise gegen das Mikro tippt und wider Erwarten drei laute Klopfgeräusche ertönen, blicken alle Augen im Saal nach vorne. Es ist die erste Vorlesung im ersten Semester Soziologie. Hunderte von Augenpaaren sind auf den älteren Professor gerichtet, der, mit seinen weißen, zerzausten Haaren, gewisse Parallelen mit Albert Einstein hat. Nach einer kurzen, bündigen Begrüßung klappt er ein zerfleddertes Buch auf, was, ebenso wie er, aus der Zeit gefallen wirkt, und beginnt den Vorlesungsstoff vorzulesen.
Ohne den Blick nur einmal zu heben taucht er ab in die Welt von Foucault, Durkheim und Luhmann. Leider ist er auf dieser Reise durch die Soziologie komplett allein. Denn genauso euphorisch wie die Studis beim Betreten des Hörsaals waren, genauso gelähmt scheinen sie nun auf ihren quietschenden Holzstühlen zu sitzen und der nicht enden wollenden Lesung des Einstein-Doubles zuzuhören. Am Ende der Vorlesung bleiben enttäuschte Blicke und die Frage zurück, ob das nun „Universität“ sei. Und ganz ehrlich: Wer nach dieser Darbietung den Raum fluchtartig verlässt und nie wieder zurückkehrt, hat mein vollstes Verständnis.
Nach einigen Jahren Uni-Erfahrung kann ich leider nur sagen, dass solche oder so ähnliche Vorlesungssituationen immer wieder vorkommen. Bei manchen Dozentinnen und Dozenten scheint es schlicht so, als würden sie sich selbst gerne reden hören, bei anderen gewinnt man den Eindruck, sie verwechseln die Vorlesung mit einer Lesung ihres eigenen, brandneu erschienenen Fachbuches. So oder so: Das Konzept der Vorlesung stößt hier und da an seine Grenzen. Zwar gibt es auch zahlreiche Positivbeispiele, wie Diskussionsrunden auf Augenhöhe, interaktives Lernen in Projektgruppen und Professoren, die mit lustigen Anekdoten den ganzen Hörsaal zum Lachen bringen. Leider sorgen aber gerade die Negativen dafür, dass Klausuren nicht bestanden, die Prüfung gar nicht erst geschrieben oder sogar der ganze Studiengang hinterfragt wird.
Semester für Semester die gleichen Referate
Nun könnte angeführt werden, Vorlesungen seien ein universitäres Konzept, bei dem Studis eben zuhören müssen, diskutiert und ausgetauscht wird sich dann in den Seminaren. So einfach ist es jedoch nicht. Denn in den Seminaren machen es sich, egal ob Uni-Dozenten oder Studi-Tutoren, besonders in überfüllten Bachelorstudiengängen, meist leicht indem sie eines gekonnt machen: Die Arbeit von sich wegschieben. Geschickt werden Referatsthemen auf Kleingruppen verteilt. Diese sollen im besten Fall noch eine kurze Diskussion anstoßen, bei welcher der Dozent dann den einen oder anderen Denkanstoß reinwirft. Während die Studierenden reihenweise wegnicken, bin ich mir sicher, dass sich auch die Lehrenden im Stillen zu Tode langweilen. Wer will sich schon Semester für Semester die gleichen Referate anhören, bei denen manche vor Aufregung kaum einen Ton rausbekommen?
Richtig knifflig wird es für Studis aber vor allem dann, wenn die Klausuren- und Hausarbeitenphase ansteht. Denn wo soll man anfangen mit dem ganzen Lernen, wenn der Professor es nicht geschafft hat, irgendetwas zu vermitteln? Und wie soll man sich für ein Hausarbeitenthema entscheiden, wenn man doch das gesamte Seminar mit offenen Augen geschlafen hat, weil man schlicht nicht mehr mitansehen konnte, wie Isabel vorne, angelaufen wie eine Tomate, einen halben Nervenzusammenbruch bekommt?
Natürlich gehört zum Studium auch immer das berühmte Selbststudium, also eigenständiges Lernen und sich selbst organisieren. Allerdings sollten doch gerade dann die Veranstaltungen, die von Dozenten angeleitet werden, Wissen vermitteln und zum weiteren Lernen anregen. So würden, um das Beispiel des Einstein-Professors nochmal aufzugreifen, die eine oder andere Zwischenfrage, kleine interaktive Phasen oder das Abstimmen per Smartphone den Besuch dieser Veranstaltung wesentlich reizvoller machen.
Lieber zu Hause ein Buch aufschlagen
Ebenso verhält es sich mit Seminaren oder Tutorien: Hier lebt eine gute Lehre besonders vom persönlichen Kontakt zwischen Studierenden und Lehrenden und dem Gefühl intellektueller Freiheit während des Lern- und Forschungsprozesses. Demnach wäre hier anstelle von immer wieder von neuem vorbereiteten und wieder vergessenen Referatsvorträgen, das gemeinsame Arbeiten an Projekten oder aktuellen Forschungsproblemen sinnvoll. Egal ob in Kleingruppen oder aber als gesamtes Seminar können sich Lernende und Lehrende so austauschen und miteinander diskutieren. So können sogar die Dozenten zuweilen von frischen Denkanstößen profitieren.
Zuletzt kann man nur hoffen, dass mit der Zeit auch der letzte eingestaubte Dozent aus seinen alten, frontalen Lehrmethoden ausbricht, sich aus der eigens geschaffenen Komfortzone herauswagt und sich neuen pädagogischen Vermittlungsformen öffnet. Denn wenn weiterhin medienferne Einsteins den Saal in den Schlaf lesen, können wir Studis genauso gut zu Hause bleiben und ein Buch aufschlagen.
Lina von Coburg (23 Jahre alt) studiert im Masterstudiengang „Theorien und Praktiken professionellen Schreibens“ in Köln. Neben ihrem Studium schreibt sie Gedichte, philosophiert über das Leben und macht sich Gedanken darüber, wie man als angehende Journalistin bestehen kann.