Kolumne „Uni live“ : Alle Tassen im WG-Schrank
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Wo sind all die Tassen hin? In Mannheim kommen viele abhanden. Bild: Dieter Rüchel
Wir Studis wollen nachhaltig sein. Na klar. Oder uns mindestens so geben. Die Sache mit den Coffee-to-go-Tassen an der Uni Mannheim zeigt: Das „So-tun-als-ob“ ist gar nicht selten. Die Kolumne „Uni live“.
Was können wir für mehr Nachhaltigkeit an der Uni tun? Das fragten diese Woche Studierende einer Initiative für Nachhaltigkeit ihre Kommilitonen an der Uni Mannheim. Die Antworten hielten sie auf einer Pinnwand im Uni-Hof fest, damit sie jeder lesen kann. Da gab es akademisch geleitete Antworten wie den Wunsch, den Klimawandel stärker in die Curricula zu integrieren. Und dann stand dort noch eine klare Forderung: „Mehr Wagen für Kaffeetassen“. Das mag kryptisch klingen, weil es auf ein lokales Problem an der Uni Mannheim hinweist. Aber das sagt ziemlich viel aus über die Einstellung vieler junger Leute. Und die ist etwas heuchlerisch.
An der Uni Mannheim gibt es seit der Rückkehr aus dem Corona-Lockdown keine Pappbecher für Kaffee mehr. Die hat das Studierendenwerk in den Orkus verbannt, weil sie aus Aspekten der Nachhaltigkeit recht fragwürdig sind. Und das von den Studierenden auch gewünscht wurde. Zuletzt hatten sie an der Uni noch fast 395.000 Becher im Jahr verbraucht. Mit dem Wegfall spart die Uni mehr als zwei Tonnen CO₂ im Semester, hat das Studierendenwerk errechnet. Der Planet dankt’s.
Damit die Studierenden auch weiterhin Coffee to go im Hörsaal schlürfen können, hatte das Studierendenwerk eine recht einfache, aber wirkungsvolle Idee: Die Tassen aus der Mensa dürfen die Studis jetzt über den Campus tragen. Sind die Tassen leer, können sie die einfach zurückbringen oder auf einen von zahlreichen Servierwagen auf dem Uni-Gelände stellen. Wo sie das Studierendenwerk einsammelt.
Komplizierte Schnitzeljagd
Was sich einfach anhört, entpuppt sich aber als komplizierte Schnitzeljagd. Denn die wenigsten Studierenden haben Lust auf so viel Engagement. Und so finden sich die Tassen überall. In Bibliotheksregalen, im Hörsaal oder im Hof. Nur nicht da, wo sie hinsollen. Die Mitarbeiter des Studierendenwerks gehen derweil auf Tassen-Suche. Und finden längst nicht alle. Allein im vergangenen Semester sind 3000 Tassen verschwunden, erzählt Peter Pahle. Die Trinkgefäße musste der Leiter des Studierendenwerks Mannheim nachkaufen, damit das Rotationssystem auch weiterhin funktioniert. Er hat dafür 9000 Euro bezahlt. Geld, das die Einrichtung auch besser hätte verwenden können.
Das Mehrwegsystem will das Studierendenwerk trotzdem beibehalten. Weil es überzeugt ist, damit einen Beitrag für eine klimagerechtere Welt zu leisten. „Doch beim Thema der Nachhaltigkeit liegen Anspruch und Wirklichkeit bei den Studierenden oft auseinander“, sagt der Chef des Studierendenwerks Mannheim. Pahle macht klar: Das System hat nur eine Zukunft, wenn die Studierenden auch bereit sind, ihren Beitrag zu leisten. Wohlgemerkt, für ein System, dass sie sich gewünscht haben. „Die Studierenden sollten nicht nur fordern, sondern auch mithelfen“, konstatiert er.
Wer in den WGs und Studentenapartments Mannheims unterwegs ist, kommt zumindest zu dem Fazit, dass die Trinkgefäße nicht einfach verschwunden sind. Sondern die Studierenden kräftig von den Tassen profitieren – und ihre Küchenschränke auffüllen. Was im Grunde eine gute Nachricht ist, weil jeder irgendwann mal genügend Tassen im Schrank hat. Und dann nicht mehr klaut. Aber das Studierendenwerk kann es sich bei den teuren Einkaufspreisen nicht leisten, Tassenlieferant für Mannheim zu werden.
Es ist extrem angesagt, sich nachhaltig zu geben
Das Verhalten meiner Kommilitonen zeugt nicht sonderlich von Intelligenz. Wer studiert, sollte so viel Reflexionsvermögen haben, um die Auswirkungen des eigenen Handelns zu verstehen. Sich etwas wünschen und nichts dafür tun zu wollen ist ein Widerspruch. Für diese Erkenntnis braucht es nicht einmal einen Bachelorabschluss. Versprochen. Wer den eigenen ethischen Anspruch mit seinem Handeln torpediert, sollte seine Werte neu ordnen. Oder seine Selbstpräsentation einem Realitätscheck unterziehen.
Denn es ist ja so: Unter uns Studierenden ist es extrem angesagt, sich nachhaltig zu geben. Niemand möchte von sich sagen, ihm sei der Planet egal. Stattdessen geht man in den Vintage-Laden, ins vegane Restaurant oder trinkt seinen Kaffee aus Tassen. Um zu zeigen, wie toll man doch ist. Und wer keine Lust darauf hat, macht es trotzdem. Oder tut zumindest so. Alles andere wäre der soziale GAU.
Mehr Ehrlichkeit!
Dass man in Mannheim nun auf Schnitzeljagd nach Mensa-tassen gehen kann, zeigt, dass die Studierenden es mit dem nachhaltigen Leben aber nicht so ernst nehmen, wie sie von sich glauben machen. Der grüne Campus fühlt sich gut an, aber leere Tassen zur Spülmaschine tragen? Voll blöd! Dabei ist die Alternative recht einfach: Im Café neben der Uni gibt es noch Pappbecher. Dass man da hingeht, kann man dem Tinder-Date aber schlecht erzählen.
Mehr Ehrlichkeit würde guttun. Möchte ich mehr Nachhaltigkeit? Und möchte ich auch etwas dafür tun? Wenn ja, super! Wenn nein, auch okay! Doch das eine kann man nur mit dem anderen haben. Wenn das alle akzeptierten, wäre das ein großer Sprung. Raus aus der moralinen Öko-Inszenierung, rein in den wirklichen Fortschritt. Um eine nachhaltige Welt zu gestalten, reicht es eben nicht, nur so zu tun. Das ist auf dem Campus nicht anders als überall sonst.
Leon Igel (26 Jahre alt) studiert an der Uni Mannheim Germanistik und BWL im Master, dabei beschäftigt er sich weniger mit Goethe, dafür umso mehr mit Christoph Schlingensief. Wenn ihm das zu bunt wird, fährt er zu seinen Eltern und hackt Holz. Oder backt Brot. Corona sei Dank kann er das jetzt auch.