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Egoismus : Können nur Egoisten Karriere machen?

Durchboxen nach ganz oben? Wie wichtig sind Egoismus und Ellenbogen für die Karriere? Bild: Jupiterimages/Thinkstock/Getty Images

Unter Studenten ist die Ansicht weit verbreitet, für eine erfolgreiche Karriere seien Egoismus und Ellenbogen zwingend notwendig. Es herrscht große Unsicherheit ob der Frage: Können nur Egoisten erfolgreich sein?

          7 Min.

          Als Oliver Bierhoff im Juni kurz vor einem Länderspiel den neuen Claim der deutschen Fußball-Nationalmannschaft präsentierte, zogen zahlreiche Marketingexperten verwundert die Augenbrauen hoch. Die Marke „Die Mannschaft“, sagte Teammanager Bierhoff damals, solle der Nationalmannschaft ein neues Gesicht geben. Die Resonanz auf diese Idee und den gleichnamigen Film über den WM-Titelgewinn 2014 war, vorsichtig gesagt, verhalten. Doch was die Hierarchie und Mannschaftsstruktur des Teams angeht, erscheint die Reduzierung auf „Die Mannschaft“ durchaus sinnvoll. Standen (und stehen) bei anderen Nationalmannschaften häufig Einzelspieler im Fokus – in Argentinien Lionel Messi, in Brasilien Neymar, in Portugal Cristiano Ronaldo –, stach beim WM-Titel für Deutschland kein Einzelspieler derart hervor. Der Titelgewinn fußte weniger auf dem Können Einzelner. Er war das Ergebnis eines funktionierenden Kollektivs.

          Daniel Schleidt
          Koordinator der Wirtschaftsredaktion in der Rhein-Main-Zeitung.

          Der Star war die Mannschaft – und damit passt das DFB-Team durchaus in den Zeitgeist, denn: Die Bedeutung von ausgeprägtem Egoismus und starken Ellenbogen nimmt immer mehr ab, auch dort, wo beides besonders ausgeprägt ist: im Büro. „Es nervt mich, dass alle denken, man könne nur mit Egoismus Karriere machen“, sagt Benjamin Schwegler. Der angehende Wirtschaftsingenieur hat aus zahlreichen Gesprächen mit Bekannten, Klassenkameraden und Kommilitonen immer wieder die weitverbreitete Ansicht herausgehört, man könne nur dann etwas erreichen, „wenn man ein Shark ist“. Ein Hai, der sich durchbeißt. Egoistisch, ohne Rücksicht auf andere, rein auf die eigenen Vorteile bedacht. Doch der 19 Jahre alte Student an der Hochschule Karlsruhe will sich damit nicht abfinden. Sicher, auch er wolle später im Job etwas bewegen, betont er, wolle in die Wirtschaft, erfolgreich sein, Karriere machen. „Aber nicht auf Kosten anderer, nicht als Egoist.“

          Ellenbogen in der Karriere: Große Unsicherheit unter Studenten

          Dennoch: Auf die Frage, inwieweit Egoismus eine zwingend notwendige Charaktereigenschaft für eine erfolgreiche Karriere ist, finden Studenten bisher kaum eine Antwort. „Es gibt eine große Unsicherheit unter den Studenten, die zwischen Studium und Berufseinstieg stehen“, weiß Benjamin Schwegler. Das Problem: Studenten wissen höchstens aus Praktika und Nebenjobs, was nach dem Examen in deutschen Büros auf sie zukommt – und wie stark sie dann selbst ihre Ellenbogen einsetzen müssen, um jene Ziele zu erreichen, die sie sich für ihre berufliche Zukunft gesetzt haben. „Unsere Generation weiß einfach nicht, was hier auf sie zukommt“, sagt Maximilian Grund, der an der Hochschule Darmstadt im 6. Semester BWL studiert.

          Das hat nicht wenig mit dem Schul- und Hochschulsystem zu tun. In Deutschland drücken sich Leistungen in Bildungseinrichtungen nach wie vor durch Noten aus. „Studenten sind hinter guten Noten her, vor allem diejenigen, die Karriere machen wollen“, sagt Maximilian Grund. Diese Ansicht bestätigt der aktuelle Studierendensurvey, eine Umfrage der Uni Konstanz, wonach die Examensnote gemeinsam mit der Arbeitserfahrung den größten Nutzen für die beruflichen Aussichten von Studenten darstellt. Wirtschaftswissenschaftler lernen früh im Studium das Modell vom „homo oeconomicus“ kennen, „der stets auf den eigenen Vorteil bedacht ist“, so Grund. „Als Student hat man oft das Gefühl, es wird von der Gesellschaft verlangt, egoistisch zu sein.“

          Und das merke man dann auch auf dem Campus. Unter den Studenten ist die Ellenbogenkultur nämlich häufig recht ausgeprägt. So berichtet etwa jeder zweite Jurastudent davon, das Konkurrenzdenken zwischen den Studenten sei ausgeprägt oder sogar stark ausgeprägt, in den Fächern Medizin und Wirtschaftswissenschaften erlebt jeder fünfte Student diesen Wettbewerb. „Studenten sind es gewohnt, in Konkurrenz zu stehen“, sagt auch die Karriereberaterin Svenja Hofert. Im deutschen Bildungssystem setzten sich immer noch die Leute am ehesten durch, die sichtbar seien. Und auf dem Weg zur Sichtbarkeit sind Egoismus und Ellenbogen nun mal hilfreiche Werkzeuge.

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