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Schule mal anders : Heute wieder eine gute Stunde Glück gehabt

  • -Aktualisiert am

Glücksgefühle im Unterricht: Angela Wanke bildet Lehrkräfte und Studierende in Sachen Glück weiter. Bild: privat

Für das Schulfach „Glück“ gibt es nichts auswendig zu lernen. Stattdessen lautet das Lernziel: Wohlbefinden. Doch wie lässt sich das nur unterrichten?

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          Faulheit, Ungeduld, Unordnung“ – Worte, die durch den Klassenraum verteilt auf Plakaten stehen. Sarah Guth schaut die Buchstaben auf ihrem Papier noch einen Moment fragend an, dann legt sie ihren Bleistift beiseite. Im Raum raschelt es, alle 22 Teilnehmerinnen der Glücks-Weiterbildung für Lehrkräfte und Studierende in der Engelbert-Humperdinck-Schule in Frankfurt drehen ihr Blatt. Verborgen bleibt die Eigenschaft, mit der jede die meisten persönlichen Probleme hat.

          Als nichts mehr zu hören ist, holt Angela Wanke Luft. „Der Basar der Schwächen ist eröffnet“, sagt die Lehrtrainerin. Vor der Tafel stehend, beobachtet sie, wie die Teilnehmerinnen auf ihr Kommando hin loslaufen und die Worte der anderen lesen. In mehreren Etappen geht es darum, den anderen mitzugeben, warum diese Schwäche vielleicht gar keine ist. In welcher Situation sich die Teilnehmerinnen gewünscht hätten, von der Person mit genau dieser Eigenschaft begleitet worden zu sein. Denn auch wenn die Eigenschaft „faul“ im ersten Moment ausschließlich negativ klingt, könnte sie doch auch bedeuten, Dinge gelassener zu sehen.

          „Manche Übungen kosten Überwindung, aber ich nehme immer ein gutes Gefühl aus den Seminaren mit“, sagt Guth. Nach insgesamt zwölf Seminarwochenenden wie diesem darf sie dann neben ihren eigentlichen Studienfächern Französisch und Biologie für das Lehramt an Gymnasien auch Glück unterrichten. Das vom Entwickler des Schulfachs, Ernst Fritz-Schubert, erklärte Lernziel lautet hier: Wohlbefinden. Dazu gehört für ihn vor allem, die Persönlichkeit zu stärken. In der Praxis bedeutet das etwa, sich durch Übungen wie dem „Basar der Schwächen“ anderen zu öffnen, die eigenen Stärken dadurch besser kennenzulernen und letztendlich selbstbestimmter zu handeln.

          Angeboten wird die Weiterbildung seit 2009 vom gemeinnützigen Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg sowie von verschiedenen Lizenznehmern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mittlerweile wurden rund 2000 Lehrer und Lehramtsstudierende weitergebildet – auch wenn Glück bisher nur an rund 200 Schulen als eigenständiges Fach unterrichtet wird.

          „Wissen und Schule müssen bitter schmecken“ – das sei, seitdem er in den 1970er-Jahren anfing zu unterrichten, immer noch eine verbreitete Vorstellung, wie Fritz-Schubert sagt. Stattdessen muss seiner Ansicht nach jede Schule ein wertschätzendes und konstruktives Miteinander fördern: „Durch positive Emotionen bin ich überhaupt erst bereit, mich zu öffnen.“

          Eine Doppelstunde Glück

          Aber braucht es dafür ein eigenes Schulfach? Sollte es nicht eine Selbstverständlichkeit sein, in der Schule immer den Menschen in den Blick zu nehmen? Eine Lehrerin in Wankes Seminar hat gerade deshalb Zweifel daran, dass es ein Schulfach Glück braucht. Für Fritz-Schubert kann jedoch gerade das von ihm mit einem Team unter anderem aus Pädagogen, Medizinern und Sporttrainern entwickelte Fach erreichen, eine andere Lehr- und Lernkultur in die Schulen zu bringen.

          Als Grundschullehrerin unterrichtet Wanke in ihrer eigenen Klasse und im Rahmen des Religions- und Sachunterrichts an der Engelbert-Humperdinck-Schule seit vier Jahren Glück – auch wenn es hier kein offizielles Fach ist, für das sie eigene Stunden hat. „Ich bin mit den Kindern heute auf eine ganz andere Art und Weise verbunden – weil wir uns über Gefühle unterhalten“, sagt sie. „Je besser die Beziehung zwischen den Kindern sowie zwischen den Kindern und Lehrern ist, desto wohler fühlen sie sich, desto besser können sie lernen und von den Inhalten profitieren.“

          Nach einer Reflexionsrunde und kleineren Übungen, wie sie auch für den Unterricht gedacht sind, verteilt Wanke vier Taschen mit Papiertaschentüchern im Raum. Der Auftrag: in den Gruppen gegeneinander antreten – und in der gestoppten Zeit den höchsten Turm bauen. In Guths Gruppe legen zwei Personen die Packungen nebeneinander, eine Person rückt den Turm immer wieder ein wenig zurecht. Große Absprachen braucht es nicht. Das Feedback: „Sehr harmonisch.“ Und: „Wir wussten gleich, wer welche Aufgabe übernimmt.“ Wanke schaut sich im Raum um, grinst leicht. „Das ist nicht besonders repräsentativ“, sagt sie. In der Schule müsse jetzt eine Frage thematisiert werden: „Warum habt ihr euch angeschrien?“

          „Ich will den Kindern nicht nur das Einmaleins beibringen“

          Der Todfeind von Idealismus und einem bunten Methodenkasten: die Pubertät. Guth unterrichtet neben der Ausbildung gemeinsam mit einer anderen Studentin jeden Dienstag im Ethikunterricht einer 7. Klasse eine Doppelstunde Glück an einer integrierten Gesamtschule. Ein „bisschen kritisch“ seien die Schüler, „warum?“ eine öfters gestellte Frage. Die Seminarteilnehmerin Mira Nietzer unterrichtet das Fach seit diesem Schuljahr mit zwei Kolleginnen eigenverantwortlich an der IGS Süd in Frankfurt. Als Werkstatt angeboten, wählen die Schüler das Fach alle freiwillig. „Doch es war gar nicht so leicht, wie wir es uns am Anfang vorgestellt hatten. Die Schüler haben Zeit gebraucht, um miteinander warm zu werden.“ Etwas Persönliches erzählen und sich damit verletzlich zeigen? Das kam für die Schüler nicht infrage.

          Nietzer und ihre Kolleginnen überlegten, entschieden sich für mehr Arbeit in Kleingruppen. Nach einigen Wochen begannen die Schüler, sich zu öffnen. Und Nietzer lernte, sich nicht entmutigen zu lassen. Gerade weil es die Schüler Überwindung koste, sich auf einen offenen Austausch einzulassen und einander wertschätzendes Feedback zu geben, seien die Übungen wichtig.

          An Nietzers Schule ist das Fach mittlerweile etabliert. Weil an der IGS Süd vorher Externe für diesen Werkstattunterricht zuständig waren, zahlt die Schule Nietzers einjährige Weiterbildung. Dafür verpflichtete sie sich dazu, weiterhin Glück zu unterrichten. Weil sie während der Weiterbildung ein Schuljahr lang Unterrichtsstunden gibt, muss auch Guth nicht für die Ausbildung zahlen. Anders als etwa bei Kursen am Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg selbst gibt es in Frankfurt für Studierende diese Möglichkeit. Die Sethasa gGmbh als Kooperationspartner des Fritz-Schubert-Instituts kontaktiert dafür Schulen mit dem Vorschlag, Studierenden für den Unterricht die Weiterbildung zu bezahlen, wie Wanke erklärt.

          Einfach ein gutes Gefühl

          Ob als eigenes Schulfach oder in ein anderes Fach eingebettet: Auch in Glück müssen Noten gegeben werden. Statt Vokabeltests oder Klassenarbeiten stellt sich Fritz-Schubert vor, dass die Schüler ihre Erfahrungen aus dem Glücksunterricht beschreiben und ein selbst gewähltes „Glücksprojekt“ dokumentieren. Das bedeute jedoch nicht, dass sie nach einiger Zeit glücklicher sein müssten, schon gar nicht einen höheren Wert auf einer Skala von 1 bis 10 angeben könnten – mit dem populären Glücksatlas, der die Lebenszufriedenheit in Deutschland abbildet, haben die Noten nichts zu tun.

          „Ich will den Kindern nicht nur das Einmaleins beibringen. Wenn es bei jemandem nicht klappt, will ich fragen: ‚Was meinst du denn, woran es hakt?‘“, fasst Wanke die Herangehensweise des Glücksunterrichts zusammen, die sie in alle Fächer mitnimmt. „Das Schulfach Glück bedeutet für mich, die Kinder in allen Fächern als Persönlichkeiten wahrzunehmen und persönlich mit ihnen zu sein.“ Trotzdem würde sie sich eigene Glücksstunden an ihrer Schule wünschen, um insgesamt mehr Zeit zu haben.

          Und auch wenn Guth vor dem voraussichtlichen Beginn ihres Referendariats in Rheinland-Pfalz im nächsten Jahr erst einmal nicht damit rechnet, das Fach als solches unterrichten zu können, möchte sie sich gerade für den Französischunterricht einige Methoden merken. Sich über eigene Schwächen austauschen zu können ebenso wie nach dem Seminartag den Klassenraum mit einem guten Gefühl zu verlassen – das möchte sie ihren Schülern auch ermöglichen, ganz unabhängig vom Namen des Fachs.

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