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Lernumfeld an Schulen : Das Ende der Entfremdung

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Entfremdungserfahrung? Ausbildung in der Gastronomie Bild: dpa

In vielen Unternehmen steht heute der „Purpose“ im Fokus: Was aus modernen Managementkonzepten für die Schule und die Bildungsbiographie folgen könnte. Ein Gastbeitrag.

          4 Min.

          Im Management wird zurzeit von der „Purpose Driven Organization“ geträumt – von Unternehmen, in denen Mitarbeiter täglich Sinn finden und Sinn stiften. Mitarbeiter sollten, so die Vorstellung, jeden Tag mindestens genauso energiegeladen und erfüllt nach Hause zurückkehren, wie sie am Arbeitsplatz erschienen sind. Dafür müssten die Mitarbeiter Freude an der Arbeit haben und sich als Menschen mit all ihren Gefühlen begegnen. Der Gedanke hinter dem Konzept der „Purpose Driven Organization“ ist simpel.

          Wenn eine Organisation einen attraktiven Zweck hat – die Rettung der Umwelt, die Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens oder die Herstellung des Weltfriedens –, würden Mitarbeiter größere Freude an der Arbeit empfinden und so die Leistungsfähigkeit der Organisation steigern.

          Die Verfechter der „Purpose Driven Organization“ begründen ihre Forderung nach einer neuen Form der Arbeit mit den veränderten Erwartungen jüngerer Mitarbeiter an das Arbeitsleben. Die Generation Y, die in den Jahren nach 1980 und in den 1990er-Jahren geboren wurde, würde sich nicht mehr reibungslos in Organisationen einfügen lassen, sondern konsequent die Frage nach dem Warum ihrer Tätigkeit stellen. Ohne eine klare Antwort auf die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit sei diese Generation nicht mehr zu motivieren.

          Phasen nahezu euphorischen Lernens

          Aus einer bildungspolitischen Perspektive fällt jedoch auf, dass die Generation in einer Schule sozialisiert wurde, in der die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Lernens auffällig wenig diskutiert wird. Lehrpläne richten sich nicht danach aus, was Schüler selbst als sinnvollen Lernstoff empfinden, und der Spaß am Lernen wird in den wenigsten erreicht. Leiter einer Regelschule, die behaupten würden, dass Schüler in ihrer Schule den Sinn des Lernpensums erkennen und mit großer Freude lernten, unterliegen einer für ihre eigene Motivation funktionalen, aber an der Realität vorbeigehenden Selbsttäuschung.

          Zwar berichten Schüler immer wieder von Phasen nahezu euphorischen Lernens. Auffällig ist jedoch, dass dies in der Regel einzelnen Lehrern zugerechnet wird. Es ist eine bestimmte Mathematiklehrerin oder der eine Geschichtslehrer, die die Freude an einem Fach geweckt haben. Aber schon durch die personelle Zurechnung wird deutlich, dass die positiven Lernerfahrungen die Ausnahme sind. Mit Blick auf die Strukturen von Regelschulen gewinnt man eher den Eindruck, dass den Schülern systematisch die Freude am Lernen ausgetrieben wird. Aber vielleicht liegt darin gerade die zentrale Sozialisationsfunktion von Schulen.

          Die Bedeutung der Sozialisation

          Schon der amerikanische Bildungsforscher Robert Dreeben hat darauf aufmerksam gemacht, dass es in Schulen nicht primär darauf ankomme, die korrekte Deklination der Reflexivpronomen, die Grundlagen der Hydrogeographie oder die Prinzipien der anorganischen Chemie zu lernen. Viel bedeutender sei es zu lernen, dass das Leben in Organisationen ganz anders funktioniere als in der vertrauten Familie. Erst in der Schule begriffen Schüler, dass sie nicht als ganze Person wahrgenommen, sondern auf ihre Rolle als Schüler reduziert werden.

          Sie lernen, dass eine Rolle wie die des Lehrers durch Personen ganz unterschiedlich ausgeübt werden kann und es trotzdem möglich ist, allgemeine Aussagen über Lehrer zu treffen. Sie erfassen, dass sie anders als in der Familie nicht bedingungslos geliebt werden, sondern nach standardisierten Kriterien mit Gleichaltrigen verglichen und beurteilt werden. Kurz: Die Sozialisation der Schüler im Hinblick auf eine spätere Tätigkeit in Organisationen ist wichtiger als die Erziehung zur Beherrschung eines genau definierten Lehrstoffes.

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