Griechischunterricht : Totgeglaubte leben länger
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Einzug in Jerusalem: Detail eines hölzernen Querbalkens aus dem 4. bis 5. Jahrhundert im Koptischen Museum Kairo. Bild: F1 online
Vor einigen Jahren noch hätte niemand geglaubt, dass das Schulfach Griechisch im Jahr 2019 noch Liebhaber finden könnte. Jetzt aber gibt es ein überraschendes neues Interesse daran.
Angestaubt, überflüssig, tote Sprache, elitär oder das Fach mit dem höchsten Bildungswert: So unterschiedlich wird das Schulfach Griechisch bewertet. Vor einigen Jahren noch hätte niemand geglaubt, dass es 2019 noch Liebhaber finden könnte. Selbst in Ländern, die bisher noch einiges für Latein und Griechisch übrighatten wie Baden-Württemberg und Bayern ist die Anzahl der Griechisch-Schüler leicht zurückgegangen, in Rheinland-Pfalz ist sie regelrecht abgestürzt. Ausgerechnet in Hamburg und Bremen gehen die Schülerzahlen steil nach oben, in Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen konnten sie stabilisiert werden. In Berlin können Schüler, die ein altsprachliches Gymnasium besuchen wollen, der sechsjährigen Grundschule entrinnen und sie schon nach dem vierten Schuljahr verlassen. Das ist für viele Kinder bildungsnaher Eltern ein zusätzlicher Grund, sich für alte Sprachen zu entscheiden. Insgesamt liegt die Zahl der Griechischlerner trotzdem bemerkenswert niedrig. Es waren im Schuljahr 2018/19 bundesweit 10815, und das sind knapp 5000 weniger als im Jahr 2008/09.
Offensichtlich ist es den Griechischlehrern an den altsprachlichen Gymnasien gelungen, mehr Schüler für ihr Fach zu interessieren, und den Schulen, das Fach zu etablieren. Hinzu kommt, dass Griechisch insgesamt eher wieder positiv wahrgenommen wird, weil sich auch Eltern in unsicheren Zeiten für Fächer interessieren, die mehr als Kommunikation in bestimmten Ländern versprechen wie Englisch, Spanisch und Französisch, deren Nützlichkeit unmittelbar klar sind. Jede Werbung für die alten Sprachen läuft Gefahr, in die Nützlichkeitsfalle zu tappen oder sich jugendsprachlich und mit allerlei bildgebenden Mätzchen anzubiedern.
Nun gibt es eine neue Broschüre, die vom Schulausschuss der Kultusministerkonferenz (KMK) und von der EU-Kommission sowie von der Botschaft der Hellenischen Republik in Deutschland ausdrücklich unterstützt wird. Einen nicht geringen Anteil daran hat der Fachvertreter der KMK, Rolf Kussl, der das Fachreferat Alte Sprachen und das Schulreferat Humanistische Gymnasien im bayerischen Kultusministerium leitet.
Dem darbenden Fach wieder aufhelfen
Entstanden ist die Broschüre mit einem eigenen Teil für Schüler und Eltern aus einer entsprechenden Veröffentlichung für das Saarland, die dem darbenden Fach Griechisch wieder aufhelfen sollte. Schon vor zwei Jahren wurde bei einer Vertreterversammlung des Deutschen Altphilologenverbandes (DAV) darauf hingewiesen, dass auch andere Länder solch eine Informationsbroschüre für Griechisch brauchten. Der Verfasser der Texte ist der frühere Vorsitzende des DAV und pensionierte Griechisch- und Lateinlehrer Helmut Meißner. Er gewann den Klett-Verlag dafür, einen Teil der Kosten mit 2000 Euro zu bezuschussen. Der Verlag wird auch 2020 mit einer entsprechenden Summe helfen und die Broschüre bewerben.
Sie beginnt im Schülerteil mit der Feststellung: „Wir sprechen alle Griechisch.“ In einem deutschen Text sollen mindestens zehn von insgesamt 17 Wörtern griechischen Ursprungs gefunden werden, die Auflösung ist auf der folgenden Seite zu finden. Griechischunterricht, so erfahren die Schüler weiter, heißt nicht nur, eine „tote“ Sprache zu lernen, sondern menschliche Grundfragen zu behandeln. „Was ist Glück, wozu braucht man Gesetze, sind Staaten nötig, hat der Mensch angeborene Triebe?“ werden als Beispielfragen genannt. Dann wird das griechische Alphabet mit der lateinischen Umschrift abgedruckt, und auf der folgenden Seite können die Schüler selbst die Umschrift griechischer Wörter üben.
Im Elternteil werden Griechisch und Latein gegenübergestellt, aber nicht gegeneinander ausgespielt. Die Stärke der einzelnen Seiten sind kurze prägnante Texte, eine Reihe von Zitaten altgriechischer Politiker, Philosophen und Schriftsteller und eine kurze Beschreibung der Arbeitsanforderungen des durchaus anspruchsvollen Fachs. In Griechisch werde genaues Lernen geübt, doch die meisten Griechisch-Schüler könnten auf die Ähnlichkeiten mit der lateinischen Grammatik zurückgreifen.
Das Graecum ist nur noch selten Pflicht
Erfahrungsgemäß fällt es den Schülern altsprachlicher Gymnasien auch nicht leicht, Französisch, Italienisch oder andere Sprachen noch freiwillig in einer Arbeitsgemeinschaft zu lernen und gute Sprech- und Lesefähigkeit zu erreichen. Mit Studienerfordernissen allerdings lässt das Griechischlernen sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz kaum noch begründen. Das Graecum ist nur noch für Philosophie, Theologie und einige altertumswissenschaftliche Fächer Pflicht, häufig unterscheiden sich die Universitäten ganz erheblich in ihren Anforderungen.
Die Graecumskurse an Universitäten sind nur ein Notbehelf, allzu weit führen solche rasch angelernten Kenntnisse des Altgriechischen meist nicht. Sie werden vor allem schnell wieder vergessen. Griechisch in der Schulzeit zu lernen bringt wesentlich mehr, nicht selten können anspruchsvolle Schriftsteller gelesen werden, was Studienanfängern in einer Schnellbleiche zumeist versagt bleibt.