Inklusion : Eine Formel für die Förderung
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Die Inklusion überfordert viele Schulen. Nun werden verbindliche Standards eingeführt. Bild: obs
Die Inklusion wurde in Nordrhein-Westfalen übereilt eingeführt. Die Nachfolge-Regierung aus CDU und FDP versucht nun, das Chaos zu beseitigen und führt verbindliche Standards ein.
In Nordrhein-Westfalen wurde die rot-grüne Landesregierung vor vierzehn Monaten vor allem auch wegen ihrer Schulpolitik abgewählt. Eine zentrale Rolle spielte dabei die überhastet und weitgehend planlos eingeführte Inklusion, also die gemeinsame Beschulung von behinderten und nichtbehinderten Kindern. Kinder mit Handicap werden in Nordrhein-Westfalen seit 2014 nur noch dann auf eine Förderschule geschickt, wenn ihre Eltern das ausdrücklich wünschen. Doch auch das gesetzlich festgeschriebene Elternwahlrecht wurde zunehmend unterlaufen: Immer mehr Förderschulen mussten schließen, weil sie die Verordnung über die Mindestgrößen von Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) nicht erfüllten. Die meisten Regelschulen wiederum fühlten sich mit der neuen Anforderung Inklusion alleingelassen, zumal Löhrmann darauf verzichtete, Qualitätsstandards zu definieren.
Ein Jahr nach der Amtsübernahme der schwarz-gelben Landesregierung hat Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) nun den ersten nordrhein-westfälischen Inklusionsplan vorgestellt, mit dem Ordnung in das chaotische System kommen soll. Denn die neuen Regeln gelten erst vom Schuljahr 2019/2020 an, und bis die komplette Sekundarstufe I umgestellt ist, wird es bis Sommer 2024 dauern. Die Schulministerin rechtfertigt das mit dem Hinweis, dass es sich bei der Neuausrichtung der Inklusion um eine anspruchsvolle Aufgabe handele. Oberstes Ziel sei, dass die Qualität und nicht mehr die Quantität an erster Stelle steht.
Künftig dürfen Bezirksregierungen und Kommunen nur noch solche Schulen als „Orte des gemeinsamen Lernens“ bestimmen, die eine Reihe von Mindeststandards erfüllen. Die Schulen müssen über ein pädagogisches Konzept zur inklusiven Bildung, ausreichend ausgebildete Lehrkräfte, ein systematisches Fortbildungskonzept und ausreichend Räume verfügen, damit auch die mitunter notwendige „äußere Differenzierung“, also der vorübergehend getrennte Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung, möglich ist.
Eingeschränkte Inklusion am Gymnasium
Zentrales Steuerungsinstrument wird die auf den ersten Blick sperrige Inklusionsformel „25 – 3 – 1,5“ sein. Mit ihr legt Ministerin Gebauer fest, dass „Schulen des gemeinsamen Lernens“ künftig je Eingangsklasse 25 Kinder aufnehmen, davon drei mit Förderbedarf. Dafür bekommen diese Inklusionsklassen dann nicht jeweils eine, sondern eineinhalb Lehrerstellen. Auf diese Weise will Ministerin Gebauer ihr Versprechen einlösen, Inklusion an Schwerpunktschulen zu bündeln. Derzeit bieten rund 1000 der 2300 weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen gemeinsamen Unterricht an, nur 109 von ihnen erfüllen schon heute die neuen Kriterien. Keine Schwerpunktbildung oder neue Qualitätsstandards plant die Ministerin bei den 2787 Grundschulen, von denen 2026 auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichten. Allerdings haben die Grundschulen mit dem Haushalt 2018 schon 600 zusätzliche Stellen für Sozialpädagogen bekommen, weitere 600 sollen im kommenden Jahr im Rahmen eines „Masterplans Grundschulen“ geschaffen werden.
Stark eingeschränkt wird inklusiver Unterricht an Gymnasien. Dort soll „sonderpädagogische Förderung in der Regel“ nur noch „zielgleich stattfinden“, wie Gebauer formuliert. Das bedeutet, dass anders als bisher nur noch behinderte Kinder und Jugendliche am Gymnasium unterrichtet werden sollen, denen zugetraut wird, das Abitur zu schaffen. Eine „zieldifferente“ Beschulung, also die parallele Unterrichtung etwa von sozial-emotional gestörten Schülern mit speziell auf sie zugeschnittenen Lernstoffen wird es nur noch an jenen Gymnasien geben, die das freiwillig anbieten wollen. Die Ministerin verändert auch die Rahmenbedingungen für Förderschulen. Argumentierte Rot-Grün, möglichst viele Förderschulen müssten möglichst schnell geschlossen werden, damit Förderschullehrer die Inklusion an Regelschulen vorantreiben können, verweist Yvonne Gebauer auf das Wahlrecht von Eltern und Schülern. „Wer über Inklusion redet, muss auch über Förderschulen sprechen“, argumentiert die Ministerin. „Für mich sind das zwei Seiten einer Medaille, wenn es darum geht, alle Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu fördern und für sie den bestmöglichen Förderort zu finden.“ Tatsächlich besuchen von den 140 000 Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf in Nordrhein-Westfalen derzeit noch 80 000 eine der 471 Förderschulen. Um für sie ein möglichst wohnortnahes Angebot zu sichern, wird die Förderschulmindestgröße im kommenden Jahr noch einmal von 144 auf 122 Schüler gesenkt. Zudem dürfen vom kommenden Jahr an unter dem Dach einer Regelschule auch sogenannte Förderschulgruppen mit mindestens drei Klassen je 14 Schüler eingerichtet werden – allerdings nur an Orten, wo es weder eine Inklusions- noch eine Förderschule gibt.