Mein virtueller Semesterbeginn : Das professorale Bücherregal ist jetzt schon ikonisch
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Und es hat Zoom gemacht: deutsche Hochschulen experimentieren zum Semesterbeginn mit Dgitalformaten Bild: Reuters
An diesem Montag hat an den meisten deutschen Hochschulen das Semester mit digitalen Veranstaltungen begonnen – und fast überall heißt es „Zoom“ oder „down“. Fünf Studenten schildern ihre ersten Eindrücke.
Universität Mannheim: Bitte ausreden lassen ...
Ich studiere an der Uni Mannheim. Die hat internationale Semesterzeiten, das Semester beginnt im Februar. Für mein Seminar zur Filmgeschichte des europäischen Melodramas treffen wir uns also schon seit Wochen vor dem Computer - Einblick in die Wohnungen der Kommilitonen und Professoren inklusive. Da zwei Professoren das Seminar leiten, kann man deren Arbeitszimmer gut vergleichen. Im Bildhintergrund der Professorin (Romanistik) thront ein mächtiges Bücherregal und eine Topfpflanze, der Professor (Germanistik) inszeniert sich filmisch hingegen spartanisch. Außer einer weißen Wand, an der zwei gemalte Bilder seiner Kinder hängen, zeigt er uns 24 Studierenden nichts. Auch ich sitze mit meinem Laptop vor einer Wand, das Bücherregal müsste ich erst noch aufräumen.
Abgesehen von den Fragen des Bildausschnittes hat sich am Seminar nicht viel geändert. Die Technik (Zoom) funktioniert zuverlässig, wir können die 90 Minuten vollständig nutzen. Es gibt Referate, die Diskussionen sind rege, die Professoren moderieren und man schreibt fleißig mit. Am Ende verlässt man den digitalen Seminarraum klüger, als man ihn betreten hat. Eines fällt aber auf: Die Schwachstellen der Seminare verschärfen sich. Es ist immer verlockend, aus dem Fenster zu schauen statt zuzuhören. Im Uni-Raum siegt der Anstand, im digitalen Raum merkt es niemand, wenn man an der Kamera vorbeischaut. Gleichzeitig ist es viel wichtiger als sonst, höflich zu sein und einander aussprechen zu lassen. Man kann niemandem elegant ins Wort grätschen und hitzige Wortgefechte bleiben aus. Vielleicht hatte man genau davor Angst, als man digitale Uni-Seminare noch für unmöglich hielt.
Literaturwissenschaftler haben ein schwieriges Verhältnis zum Digitalen. Zwar weiß man um die Vorteile des digitalen Arbeitens, man betont aber stets dessen Nachteile. Die persönliche Diskussion im Seminarraum wird als Grundlage des Erkenntnisfortschritts gepriesen. Corona zeigt, dass der Digital-Pessimismus übertrieben ist.
Leon Igel, 24 Jahre, Master Germanistik, 2. FS
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Universität Leipzig: Will man sich daran gewöhnen?
Die erste Änderung betrifft die Uhrzeit: Auf Punkt elf, statt wie üblich cum tempore, ist die digitale Vorlesung via Zoom veranschlagt. Der private Online-Dienst für Videokonferenzen scheint „Meetings“ nur zur vollen oder halben Stunde anzuberaumen. Nach kurzem Warten im virtuellen Vorraum darf man der Konferenz beitreten. Der Professor will, wie er später mitteilen wird, einen Überblick darüber behalten, wer an seiner Veranstaltung teilnimmt und hat daher die Funktion für den automatischen Beitritt deaktiviert. Der Hinzukommende blickt zunächst auf eine stumme Wand von Kacheln mit den Gesichtern derjenigen, die mit Videobild der Vorlesung beiwohnen, alle anderen sind durch Kacheln mit Namenskürzel vertreten. Einige sitzen vor ihren Schreibtischen, andere ziehen die Couch-Landschaft vor. Hinter dem Professor reckt sich das standesgemäße Bücherregal zur Decke.