Internationales Netzwerk : „Die Ökonomie hat verlernt, das Alte zu lesen“
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Eine Adam Smith-Statue in Edinburgh Bild: AFP
Volkswirt Stefan Kolev im Gespräch über seine Initiative zur ökonomischen Ideengeschichte an der Stanford University – und warum er eine Grundausbildung auf diesem Gebiet auch für jüngere Studenten für sinnvoll hält.
Herr Kolev, Sie sind Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau und veranstalten gerade eine Ringvorlesung „Geschichte des ökonomischen Denkens“ an der amerikanischen Elite-Universität Stanford. Zwischen Zwickau und Stanford ist es ein weiter Weg – wie kam es zu diesem Auftrag?
Der erste Impuls kam von zwei Studenten, Christian Kontz und Vlastimil Rasocha, die seit letztem Sommer in Stanford promovieren. Sie dachten, dass eine Ringvorlesung zu diesem Thema eine schöne intellektuelle Ergänzung zu ihrem sonstigen, sehr technischen Curriculum sein könnte. Im Dezember sind sie auf mich zugekommen, und wir haben recht schnell gemeinsam ein Konzept auf die Beine gestellt.
Und die Universität hat das einfach abgenickt? Normalerweise haben die Studenten ja eher wenig Einfluss auf das Curriculum ...
Der Dekan der Fakultät war begeistert, als er von der Idee erfuhr, und hat sie sofort unterstützt. Die Geschichte des ökonomischen Denkens hat in Stanford eine große Tradition. Früher gab es regelmäßig eine Vorlesung dazu, die der Nobelpreisträger Kenneth Arrow gehalten hat. Das war eine gute Voraussetzung für unser Projekt.
Die ersten beiden Vorlesungen der Reihe haben schon stattgefunden, Ende Januar ging es um Adam Smith, Anfang Februar um die englische Klassik. Was steht noch alles auf dem Programm?
Eine Reise durch die einflussreichen Ideen unseres Fachs, etwa 20 Vorlesungen im Zwei-Wochen-Takt, bis hin zur Geschichte der modernen Mikro- und Makroökonomie sowie der Ökonometrie. Als Nächstes spricht Heinz Kurz aus Graz über Karl Marx, Anfang März Sandra Peart aus Richmond über die Grenznutzenrevolution. Für den Spätsommer haben wir auch Paul Milgrom angefragt, der gerade den Nobelpreis gewonnen hat. Das Interesse ist größer, als wir dachten. In unserer ersten Vorlesung, die Karen Horn hielt, waren es doppelt so viele Teilnehmer wie erwartet.
Kann man sich die Vorlesungen auch anschauen, wenn man nicht Doktorand in Stanford ist?
Aktuell ist die Veranstaltung nur für Doktoranden und Fakultätsmitarbeiter dort offen. Wir wollten gerade für sie einen Raum schaffen, in dem sie ihre Fragen stellen und mitdiskutieren können. In einer offenen Veranstaltung wäre die Gefahr groß, dass andere das Reden übernehmen. Aber wir nehmen die Vorlesungen auf und werden prüfen, ob und wie wir sie auch für ein breiteres Publikum zugänglich machen.
Wie sind die Studenten auf Sie gekommen?
Ich kenne Christian Kontz aus dem akademischen Netzwerk für Ordnungsökonomik und Sozialphilosophie (NOUS) ...
... das Sie gemeinsam mit anderen im Jahr 2015 gegründet haben, nachdem Sie alle aus der Hayek-Gesellschaft ausgetreten sind.
Genau. Wir sind ein internationales Netzwerk mit etwa 100 Mitgliedern, darunter Ökonomen, Philosophen, Politikwissenschaftler, Historiker und Juristen, sowie 100 Nachwuchswissenschaftlern. Unser Ziel ist es auch, die alte, etwas verstaubte Ordnungsökonomik wieder anschlussfähig zu machen. Die Ringvorlesung ist da nur eines von mehreren Projekten.
Halten Sie solche Vorlesungen auch an deutschen Universitäten?
Es gibt vereinzelte studentische Initiativen, aber das Fach ist leider beinahe ausgestorben; wie überall außerhalb von Frankreich, Italien und Lateinamerika. Dabei kann das Fach den Studenten zeigen, was für ein faszinierendes Universum sie betreten, wenn sie sich für ein Studium der Ökonomie entschieden haben. Die Ökonomie hat verlernt, das Alte zu lesen. In Stanford öffnen wir eine Schatztruhe, aus der die Doktoranden Inspiration für ihre Forschung ziehen können. Eine ideengeschichtliche Grundbildung schadet aber auch jüngeren Studenten nicht.
Aber so ein Bachelorstudium ist auch ohne Kurse in Ideengeschichte schon recht voll. Was sollte dafür rausfliegen?
Es muss nichts rausfliegen. Wenn man die Studenten zu kritischen Menschen ausbilden will, sollte man ihnen dabei helfen zu verstehen, wo man als Ökonom fachlich herkommt. Dafür braucht es nicht zwingend einen eigenen Kurs. Der historische Zugang kann Teil jeder Veranstaltung sein.
Können Sie schon Lehren aus dem Projekt ziehen? Oder ist es noch zu früh?
Es ist eine super Erfahrung, dass die Doktoranden trotz ihrer Belastung diese intellektuelle Ergänzung selbst ins Leben gerufen haben. Deutsche Fakultäten ahmen oft nach, was Top-Departments in Amerika tun. Hoffentlich ist auch diese Initiative nachahmenswert.