Semesterstart : Lehren aus der Onlinelehre
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Provisorium der Corona-Phase: die Votivkirche in der Innenstadt wurde von der Universität Wien zeitweise als Seminarraum genutzt. Bild: dpa
Viele Hochschulen kehren zum neuen Semester zur Präsenz zurück. Was hat man aus der Corona-Zeit gelernt? Ein Gastbeitrag.
Die deutschen Universitäten öffnen wieder. So ließen sich die aktuellen Ankündigungen der meisten akademischen Institutionen des Landes zusammenfassen. Nach bald zwei Jahren, in denen die akademische Lehre auf die Herausforderungen der Pandemie reagieren musste, soll das anstehende Sommersemester ein Semester werden, das „mit möglichst viel Präsenz“ (Freie Universität Berlin) aufwartet. Mancherorts wird schon ein vollständiges „Präsenzsemester“ (Universität Hamburg) in Aussicht gestellt, eine Lehrform also, die sich klar von zuletzt favorisierten „Online-Semestern“ (Hochschulrektorenkonferenz) unterscheidet.
Die Stimmung an den Universitäten ist mindestens zwiegespalten: Viele treten dafür ein, wieder regelmäßig und uneingeschränkt vor Ort lernen, zusammen arbeiten, gemeinsam diskutieren, den Campus mit neuem Leben füllen zu können. Für sie stehen persönliche Begegnungen und direkter Austausch an oberster Stelle. Daneben gibt es nicht wenige, die zwar ebenfalls für ein Ende der reinen Onlinelehre eintreten, dies allerdings mit der Hoffnung verbinden, dass nicht verloren geht, was in der Zeit der massiven Pandemie gewonnen und neu entwickelt worden ist. Denn so verständlich der Wunsch nach (physischer) Präsenz auf dem Campus ist, so bedauerlich wäre, würden alternative Präsenzmodelle in Vergessenheit geraten. Daher unser Plädoyer: Lasst uns an den Universitäten und Hochschulen Präsenz in einem breiten Sinne wertschätzen – und unterschiedliche Lehr- und Lernformate in den zukünftigen akademischen Alltag gleichberechtigt integrieren!
Interessanterweise ist es an Hochschulen gar nicht so leicht, das Thema pragmatisch und souverän handzuhaben. Dabei könnte man gerade in der Wissenschaft wissen, welche guten Erfahrungen die Forschung über Mischlösungen bietet. Es ist eben – oh Wunder! – nicht das eine oder das andere, sondern beides in einem: Bestimmte Lehrinhalte, speziell instruktiv-einführender und interpersoneller Art, sind wie gemacht für Präsenzunterricht. Eine Reihe aufbauender Lehrinhalte indes eignet sich gut für das sogenannte Blended-Learning-Konzept: Es gibt örtliche Termine und Termine in Fernlehre. Ein Beispiel: Auf zwei bis drei Ortstermine zur Einführung zu Beginn des Semesters folgen Webkonferenzen, auch in kürzerer Form, statt neunzig Minuten etwa nur eine halbe oder eine Stunde, verbunden mit ergänzenden Medien (beispielsweise Lehrfilmen und Podcasts) sowie Gruppenphasen und Arbeitsaufträgen. In der Mitte und zum Ende des Semesters gibt es abermals Präsenztermine. Präsenz hat in diesem Lehrdesign eine verankernde und stabilisierende Funktion. Sie ist Mittel zum Zweck, aber nicht der Zweck selbst.
Der Vielfalt der Bedürfnisse gerecht werden
Studenten arbeiten heute so viel wie nie zuvor in Lern- und Prüfungsgruppen, bewerkstelligen regelmäßig Projekte und Präsentationen. Elemente des regelmäßigen Distanzunterrichts sind hiermit geradezu organisch verbunden – auf Dozenteninput und Vertiefungstermine folgen Abläufe der Selbstorganisation. Die Studenten müssen in dieser Lehrform selbstständig Zeit- und Arbeitspläne anlegen. Eine Aufgabe, die man von Erwachsenen im fortgeschrittenen Studium (vor allem in der Master-Phase) erwarten und für die man sie qualifizieren kann. Lehrinhalte mit stark informativen Anteilen können im Übrigen auch in Audioform eingespielt werden, diese verlangen gar keine Echtzeit und nicht unbedingt Bild und Farbe. Das vielleicht Wichtigste bleibt oft unerwähnt: Es bedarf einer guten Lernplattform, über die analoge und digitale Aktivitäten mit aktuellen und vielfältigen Fachmedien, Dateien, Projekträumen und Dozenten-Chats organisiert und eingesetzt werden. Diese Strukturen werden mangels Zeit oft noch stiefmütterlich behandelt.
Auch an kleineren Institutionen sollten Mischformen zukünftig berücksichtigt werden. Das Studium etwa an Kunsthochschulen ist oft nur noch durch formale Vorgaben überwiegend in Ateliers, Klassenräumen und physischen Werkstätten organisiert. Dabei arbeiten immer mehr Studenten – halb selbst organisiert, halb angeleitet – mit digitalen Werkzeugen, sie entwickeln digitale Programme, organisieren sich über Onlineplattformen, informieren sich über aktuelle ästhetische Entwicklungen in den sozialen Medien und vertreiben dort schon während ihres Studiums erste Arbeiten.