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Max-Planck-School of Cognition : Beobachter des Gehirns

Vielschichtiges Organ: Anatomisch detailgetreuer Nachbau eines Gehirns Bild: picture-alliance/ ZB

Die Max-Planck-Schools wollen die Doktorandenbildung auf internationales Spitzenniveau bringen. Das Konzept scheint sich zu bewähren.

          4 Min.

          Im Jahr 1983 publizierte Benjamin Libet in der Zeitschrift „Brain“ einen Artikel, der bis heute Schockwellen verbreitet. Der amerikanische Physiologe behauptete, der Entschluss zu einer Handlung werde im Gehirn schon getroffen, bevor er uns überhaupt bewusst werde. Im Experiment hatte Libet seine Probanden gebeten, per Handbewegung anzuzeigen, wann sie sich zum Handeln entscheiden. Und siehe da: Im EEG zeigten sich schon rund eine halbe Sekunde vorher unbewusste Hirnsignale, denen Libet eine kausale Rolle zuschrieb. Das Bereitschaftspotential war geboren.

          Thomas Thiel
          Redakteur im Feuilleton.

          An den Begriff knüpfen sich seither große Fragen: Hat der Mensch einen freien Willen, oder sind wir Marionetten unseres Gehirns? Hätte der Mensch eine Würde, wenn er keine moralische Wahl hätte? Wäre er schuldfähig? In der Debatte über die Willensfreiheit spielte das Libet-Experiment eine wichtige Rolle. Neuere Studien ergaben jedoch, dass es, was die Zahl der Probanden betrifft, auf wackligen Füßen steht. Andere zogen in Zweifel, dass der genaue Zeitpunkt bei vielschichtigen Entscheidungen überhaupt genau bestimmt werden könne. Wieder andere beobachteten Handlungen ohne vorausgehendes Bereitschaftspotential und Bereitschaftspotentiale ohne nachfolgende Handlung. Der Psychologe und Neurowissenschaftler Aaron Schurger zeigte im Jahr 2012 in einem viel beachteten Aufsatz, dass der Entscheidungsprozess auf ungerichteten, zufälligen Gehirnströmen beruht. Kurz: Bis heute weiß niemand so richtig, wofür das Bereitschaftspotential eigentlich steht.

          Bojana Grujičić hat die einschlägigen Aufsätze zum Thema gelesen. Sie will herausfinden, ob es neben den zufälligen Gehirnströmen auch eine deterministische Variable gibt, die eine Entscheidung kausal vorbereitet. Es ist ja schwer vorstellbar, dass absichtsvolles Handeln aus einem völlig ungerichteten Vorgang hervorgeht. Das Bereitschaftspotential könnte nur die letzte Stufe des Entscheidungsprozesses sein, lautet ihre Hypothese, die sie derzeit am Londoner University College bei der Neurophilosophin Phyllis Illari untersucht.

          Mit der Interdisziplinarität Ernst machen

          Bojana Grujičić hat ihre Promotion vor zwei Jahren an der Max Planck School of Cognition begonnen. Sie gehört zum ersten Jahrgang der 2019 gestarteten Graduiertenschulen, die mit dem unbescheidenen Ziel angetreten sind, die deutsche Doktorandenausbildung auf internationales Spitzenniveau zu heben und die besten Nachwuchsforscher aus aller Welt anzuziehen. Drei solcher Schulen gibt es seither, neben der für Kognition noch eine zweite für Photonik und eine dritte für physikalische und chemische Lebensprozesse. Keine von ihnen hat einen festen Standort, man muss sie sich als Netzwerke vorstellen, die insgesamt 27 Universitäten und dreißig außeruniversitäre Institute miteinander verbinden, einschließlich zweier Dependancen im Ausland: des MPI für Psycholinguistik in Nijmegen und des University College London.

          Von Martin Stratmann, dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, stammt die Idee, die Schools müssten in ihrer Struktur die wissenschaftliche Exzellenz abbilden, die in Deutschland anders als in Ländern mit Elitehochschulen nicht an einem Ort versammelt ist. Damit fällt ihnen auch die Aufgabe zu, die Hochschulen mit den forschungsstarken außeruniversitären Instituten zusammenzubringen und mit der viel geforderten Interdisziplinarität Ernst zu machen. Die Kognitionswissenschaft ist dafür ein gutes Beispiel. Sie versammelt Philosophen, Psychologen, Neurowissenschaftler, Physiker, Mathematiker und zieht immer häufiger auch KI-Forscher an.

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