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Kuriose Wissensproduktion (2) : Neue Stilblüten aus Dissertationen

  • -Aktualisiert am

Nehmen die Stilblüten Überhand, kann man leicht aus dem Gleichgewicht geraten. Bild: Imago

Die erste Folge unserer Zusammenstellung von Stilblüten fand viel Resonanz und auch Kritik. Wer mit einer Dissertation das Licht der Öffentlichkeit sucht, darf nicht erschrecken, wenn er ausgeleuchtet wird.

          4 Min.

          In der letzten Folge unserer Stilblütenschau in Dissertationen stand die Einfachheit im Mittelpunkt. Beginnen wir dieses Mal mit dem Surfing und der Titelfrage („Happy and Healthy?“) einer deutschsprachigen „internationalen Betrachtung“ von, immerhin, zwei Surfstränden. Der holländische Strand ist der Autorin „von eigenen Urlauben und Wochenendaufenthalten“ bekannt, der amerikanische Strand „wurde ebenfalls aus forschungspragmatischen Gründen gewählt“. (Spoiler: Er ist der Autorin von einem Hawaiiaufenthalt bekannt.) Die Arbeit enthält Beobachtungen wie: „Ein Surfer mit einem bunt beklebten Shortboard kommt an den Strand. Er legt sein Board in den Sand und läuft ca. 50 Meter im seichten Wasser entlang, dann wieder zurück. Das macht er sechsmal.“

          Gegen Ende der Arbeit heißt es, dass die Methodik der Autorin durchaus kritisch zu betrachten sei, denn als Surferin sei sie ja „in gewisser Weise subjektiv vorbelastet“. Ein weiterer Kritikpunkt sei, dass „alle Beobachtungen lediglich durch einen einzigen Beobachter (die Autorin) ausgeführt werden“. Die Autorin kam, sah und ließ surfen? Dennoch sei die Methode nicht ungeeignet, „denn zum Gesundheitsverhalten von Surfern gibt es keine analysierenden Studien“. Mit dieser überaus logischen Schlussfolgerung reichte es an der Universität Tübingen für einen Doktorgrad; womöglich auch dank dieser Erkenntnis: „Die Verhaltensweisen nach dem Surfen repräsentieren das soziale Kapital in einer anderen Dimension als vor oder während dem Surfen.“ Auf dieser Welle wollen wir auch mal reiten, dann sind wir happy und healthy.

          Ebenfalls an einer Küste liegt die mexikanische Region Tijuana. In „Indigenität in Tijuana: Globale Diskurse und lokale Adaptionen, 1989 bis 2012“ wird es auf Seite 10 kompliziert: „Der Blick auf Konflikte zwischen den Akteur_innen, die sich an der Ausformung von Bedeutungen von Indigenität beteiligen, sowie die Suche nach Akteur_innen, die Indigenität in ihre politischen Forderungen einbinden, ohne sich aktiv an den überregionalen Debatten zu beteiligen, verdeutlicht, dass die Zirkulationen mit Transformationen des Konzeptes einhergehen.“ Die FU Berlin vergab einen Doktorgrad an diese von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Arbeit mit dem Fazit: „Die Frage nach der Bedeutung und Funktion von Indigenität wird folglich damit beantwortet, dass Indigenität als analytische Kategorie nicht gefasst werden kann.“

          Unverständliches Gendern

          Beim Thema „Gendern“ ist ein Schwenk zurück zur traditionellen Bezeichnungsweise festzustellen, mit dem obligatorischen Hinweis zu Beginn der Arbeit, es seien immer alle Geschlechter gemeint. Anders in einer Salzburger Dissertation über „Die Interaktion zwischen Dirigent_in und Musiker_innen in Orchesterproben“, in der wir lesen: „Beispielsweise zeigt das Heben einer Hand eines/einer Beteiligten in Meetings an, dass derjenige/diejenige sich selbst als (mögliche/n) nächste/n Sprecher_in auswählt und vom Vorsitz auch als solche/r wahrgenommen werden möchte.“

          An späterer Stelle schreibt die Autorin vom Wechsel zwischen dem/der Dirigent_in als Sprecher_in (oder auch als Gestikulierer_in, Singer_in) sowie den Musiker_innen als Zuhörer_innen in Besprechungsteilen, und den Musiker_innen als Musizierende sowie dem/der Dirigent_in als Dirigierende_r in Performance-Teilen. Verlassen wir aber diese vielgeschlechtliche Welt der Musik und wenden uns John Stuart Mills Theorie des guten Lebens zu.

          Erstaunt ist die Autorin darüber, dass Mill zufällig auch mit anderen Geistesgrößen gleichzeitig (!) auf der Welt war: „Kant ist gerade gestorben, als Mill zur Welt kommt (1806); mit Wilhelm von Humboldt (geb. 1767) und Friedrich Nietzsche (geb. 1844) teilt Mill einige gemeinsame Jahrzehnte auf Erden.“ Inzwischen teilen sie woanders das ewige Leben. Allerdings denkt die Lüneburger Doktorarbeit säkular. Die Ausführungen leisten „einen Beitrag Moraltheorie hybrider und substantieller zu denken, ohne dabei den säkularen Boden zu verlassen.“ Verlassen hatte die Autorin da bereits den Boden deutscher Kommasetzung.

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