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Engagement an der Uni : Solidarität auf Französisch

  • -Aktualisiert am

Der solidarische Supermarkt: Hier können Studenten günstiger einkaufen. Bild: Marta Nascimento/Rea/Laif

Mehr als 100 Jahre gibt es das Modell der französischen Studierendenvertretung. Doch trotz großer Debatten geht das Engagement der Studierenden insgesamt zurück.

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          Fünf Euro und dreiundachtzig Cent. So viel kostet Camilles Einkauf mitsamt Nudeln, Müsli, Milch, Waschmittel, Kaffee, Keksen und Olivenöl, den die französische Studentin in ihren Rucksack packt. Eine ganz normale Summe für den sogenannten Agoraé, einen solidarischen Supermarkt im 13. Arrondissement, unterhalb der Seine. Das Lebensmittelgeschäft wird von Studenten für Studenten betrieben – getragen von einem Zusammenschluss von rund 30 studentischen Verbänden in Paris, der Association Générale des Étudiants de Paris, kurz: AGEP.

          Wer hier einkauft, muss für Masken, Tampons, Binden oder Kondome nichts be­zah­len. Camille kommt einmal die Woche vorbei, den Tipp hat sie von Freunden bekommen: „Es gibt eigentlich fast alles, was man braucht.“ Eine Packung Nudeln, die im konventionellen Supermarkt 2,50 Euro kosten würde, gibt es im solidarischen Supermarkt für 25 Cent.

          Mehrere Säulen treffen die wichtigen Entscheidungen

          „Wir verlangen 10 Prozent vom realen Marktpreis“, sagt der 21 Jahre alte Nathan Rocha, während er jeden Artikel einzeln in seinen Computer eintippt. „Wir verlangen trotzdem einen kleinen Beitrag, damit sich die Studierenden nicht schlecht fühlen, weil sie bevorzugt behandelt werden.“ Rocha engagiert sich neben seinem Physikstudium als Abgeordneter der AGEP und Helfer im solidarischen Supermarkt. Geld für hochschulpolitisches Engagement gibt es in der Regel nicht. „Viele müssen ihr Engagement oder Studium für eine Zeit unterbrechen, weil sie es sich sonst nicht leisten können“, sagt Rocha, der ungefähr zehn Stunden in der Wo­che ehrenamtlich arbeitet.

          Nathan Rocha ist ehrenamtlicher Helfer im solidarischen Supermarkt.
          Nathan Rocha ist ehrenamtlicher Helfer im solidarischen Supermarkt. : Bild: privat

          Die Pariser Hochschulpolitik lässt sich am besten mit einem römischen Palast mit mehreren Säulen vergleichen. An der Spitze jeder Universität, sozusagen im Dachgeschoss, tagt der Verwaltungsrat, der Conseil d’Administration, samt Universitätspräsident und studentischem Vizepräsident. Gemeinsam wird entschieden, welchen Weg die jeweilige Universität einschlägt und wofür das Geld ausgegeben wird.

          Darunter liegen – je nach Universität – die Akademische Kommission (Conseil Académique) mit den ihr unterstellten Kommissionen zur Forschung (Commission de la Recherche) und für Ausbildung und Campusleben (Commission de la formation et de la vie universitaire) oder der Akademische Senat (Sénat Académique). In all diesen Räten und Kommissionen sitzen Vertreter der Studentenschaft, des Lehr- sowie des administrativen Personals und der externen Angestellten. Die studentischen Vertreter werden alle zwei Jahre gewählt, alle anderen im Abstand von vier Jahren. Die Säulen im Untergeschoss bilden die einzelnen Fakultäten – ähnlich wie der deutsche Fachschaftsrat. Je Fakultät gibt es einen studentischen Dekan und einen Fakultätsrat.

          Wie eine Studenten-Gewerkschaft

          Rocha sitzt für die AGEP im Verwaltungsrat der Sorbonne. Gleichzeitig hält er als Vizepräsident den Draht zu den studentischen Verbänden und Abgeordneten. In der AGEP gilt das Modell der partizipativen Demokratie – und das schon seit mehr als 100 Jahren: Der Zusammenschluss, wurde 1884 gegründet. Heute vertreten die 150 Abgeordneten der AGEP die Interessen der Pariser Studenten, „ähnlich wie eine Gewerkschaft“, sagt Rocha.

          Die politische Arbeit in den Räten sei für ihn genauso wichtig wie die studentischen Projekte. „Der solidarische Supermarkt bringt zwar Missstände ans Licht und bietet eine Lösung an. Doch die Ursache des Problems kann er nur lindern“, sagt Rocha. Die großen Veränderungen müssten auf nationaler Ebene stattfinden. Dort vertritt die sogenannte Fédération des Associations Générales Étudiants, kurz FAGE, die französische Studentenschaft. Sie ist vergleichbar mit dem Zusammenschluss von Studentenschaften, kurz fzs, der als Dachverband rund 90 Studentenvertretungen in Deutschland vertritt.

          Auf der anderen Seite der Seine, auf dem Campus der Université Sorbonne Nouvelle, liegt das Büro von Abdoulaye Diallo. Seit November 2019 ist der 35-Jährige ihr studentischer Vizepräsident. In wenigen Monaten, wenn er seinen Master der Digitalen Geisteswissenschaften ab­schließt, endet auch sein zweites Mandat. „Nach meinem Abschluss nehme ich nicht nur ein Diplom, sondern viele weitere Kompetenzen mit, die mir bei Jobbewerbungen helfen werden“, sagt er. Genau wie sein prall gefülltes Adressbuch.

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