Digitales Sommersemester : Im Rausch der Online-Lehre
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Analog und digital: Studenten an der Universität Leipzig Bild: Jens Gyarmaty
Im Digitalsemester 2020 werden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert. Der kostensparende Umbau der Hochschulen wird still vorangetrieben. Ein Gastbeitrag.
Wie viele andere Universitätslehrkräfte erhielt ich kürzlich eine offizielle E-Mail, in der mir mitgeteilt wurde, dass „der Start des digitalen Sommersemesters vor der Tür steht“. Das klingt ein wenig wie die vorweihnachtlichen Versprechungen, dass die Adventszeit nun vor der Tür steht und die Feiertage nicht mehr fern sind, oder wie die vorbereitenden Warnungen der Schokoladenfabrikanten, dass Ostern vor der Tür steht und man rechtzeitig daran denken soll, Schokohasen zu horten. Gemeint ist mit all diesen Ankündigungen wohl, dass man am Kalender leicht ablesen könne, dass eine Reihe von besonderen Tagen nicht mehr fern ist und dass diese Tage unaufschiebbar kommen werden. Man deckt sich dann mit Schokoladenvorräten ein, bestellt Filme, füllt den Kühlschrank und harrt der Dinge die da kommen werden, die immer schon so gekommen sind und auch weiterhin so kommen werden.
Im Falle des „digitalen Sommersemesters“ wird ein ähnliches Verhalten vorgeschlagen: Professoren und Lehrbeauftragte sollen ihre Internetverbindungen überprüfen, zusätzliche Computer kaufen, System-Updates durchführen, sich auf eine Zeit der Klausur einstellen und der Dinge harren, die da kommen werden. Das Weihnachtsgeschenk, das die Universität uns verspricht, ist eine Software namens Zoom, die es uns ermöglichen wird, nicht mehr aus dem Haus gehen zu müssen.
Es gibt allerdings einige Unterschiede. Während Weihnachten und Ostern ein Eintrittsdatum haben und ein klar bestimmtes und oft freudig erwartetes Enddatum, lässt das digitale Sommersemester kein erkennbares Ende erkennen. Während ich Weihnachten feiern kann oder auch nicht, ist das digitale Sommersemester keine Option mehr, sondern ein vorgeschriebener Arbeits- und Reproduktionszusammenhang, der von den Rektoraten und Präsidien diktiert wurde, ohne dass die Lehrkräfte, Forscher und Studenten in die Entscheidung einbezogen worden wären. Das digitale Sommersemester, ein Euphemismus für eine radikale Umstellung der Lehr-, Lern- und Forschungsbedingungen, wurde per Dekret verhängt.
Einsame Entscheidungen
Wer hat darüber entschieden, dass wir ein digitales Semester durchführen sollen? Gibt es irgendwelche internen hochschulpolitischen und demokratischen Prozesse, die das digitale Sommersemester legitimieren? Gibt es einen Diskurs darüber, was das digitale Semester für geringverdienende Studenten bedeutet? Gibt es eine Diskussion darüber, was das für Lehrbeauftragte bedeutet, die nun einen eigenen Arbeitsraum für ungestörte Videokonferenzen einrichten müssen? Ist die Universität bereit, anfallende Kommunikationskosten zu erstatten und zusätzliche Hardware für die Heimarbeiter zu beschaffen? Wer bezahlt für die privaten Arbeitsräume, die vormals am Campus waren und nun von den Dozenten und Studenten aus eigenen Mitteln zur Verfügung gestellt werden müssen? Können Studenten die nicht über eine Wohnumgebung verfügen, in der neunzigminütige Fernunterrichtsveranstaltungen störungsfrei konsumiert werden können, darauf hoffen, dass die Universitäten alternative Lernräume zur Verfügung stellen? Ich denke nicht.