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Bindungslos: Säuglingsschwester mit Kleinkind in einem Heim im Jahr 1952 Bild: Rudi Dix/Stadtarchiv München

Säuglingsheime in Ost und West : Wo keine Erinnerung, da kein Skandal

  • -Aktualisiert am

Auch in der DDR wusste man, dass der frühe Aufenthalt in Säuglingsheimen die Bindungsfähigkeit der Kinder stört. Nur durfte das nicht offiziell gesagt werden. Ein Gastbeitrag.

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          Vor knapp zwei Jahrzehnten begann die deutsche Gesellschaft, das Leid der ehemaligen Heimkinder genauer wahrzunehmen. Anders als bei den sogenannten „Heimskandalen“ des letzten Jahrhunderts, die stets nur kurz Schlagzeilen machten, endete dieser Prozess nicht nach wenigen Tagen oder Wochen. Die grausamen Seiten der deutschen Heimgeschichte werden seitdem mit einiger Kontinuität thematisiert, wobei allerdings eine Art von Einrichtungen weitgehend ausgenommen blieb: die Säuglingsheime, die es in der Bundesrepublik häufig und in der DDR noch viel öfter gab. Von diesen Heimen existierten in den frühen Jahren nach 1960 in Westdeutschland über vierhundert, in Ostdeutschland mehr als zweihundert. Man könnte sagen: Das nächste Säuglingsheim war immer nur ein paar Kilometer entfernt. Doch wie die Kinder dort lebten, was sie erlitten und was aus diesen Einrichtungen wurde, hat die Heimgeschichtsschreibung bisher kaum erforscht.

          Dabei ist die früher weit verbreitete Institution des „Säuglings- und Kleinkinderheims“ historisch doppelt interessant. Zum einen liegt es – gerade mit Blick auf die Betroffenen, die meist keine Erinnerungen an ihre Zeit dort haben – nahe, eine Sozialgeschichte dieser Heime zu entwickeln: Welche Mütter (und manchmal Väter) gaben ihre Kinder in diese Heime und warum taten sie dies? Wie lebten die Kinder dort – und welche Folgen hatte ein Aufenthalt im Säuglingsheim für ihre Entwicklung? Zum anderen eignet sich das Säuglingsheim für eine Wissensgeschichte der beiden deutschen Staaten. Damit lässt sich nachzeichnen, wie schnell die Ideen der frühen Bindungstheorie des britischen Psychiaters und Psychoanalytikers John Bowlby in den fünfziger Jahren in Deutschland von Fachleuten rezipiert wurden – und zwar in der Bundesrepublik wie überraschenderweise auch in der DDR.

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