Welt außer Form
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Im Visier der russischen Armee: die Kiewer Sophienkathedrale Bild: dpa
Der Deutsche Kunsthistorikertag in Stuttgart wagt sich wieder an das umstrittene Formproblem. Heftig debattiert wird die Frage, was man gegen die Vernichtung der ukrainischen Kulturform tun kann.
Form ist alles. Sie erst scheidet Kunst von allem anderem, lässt Michelangelos Fast-Berührung zweier simpler Fingerkuppen in der Sixtina zu einem einmaligen Bild werden. Und doch ist kaum ein methodischer Ansatz in der Kunstgeschichte seit Längerem so verpönt wie jener der Formgeschichte. Denn der Blick auf die Form von Gestaltetem lenke, so das Vorurteil, von dessen Inhalt ab. Selbst zu Zeiten des schlimmsten Formalismusstreits im Dresden der Fünfzigerjahre hinterließ das Wort nicht einen derart penetranten Geschmack zerfallender Moderpilze im Mund der meisten Kunsthistoriker wie derzeit.
Die Ansprüche an die Kunstgeschichte, vermehrt auch aus der Politik, sind im Zeitalter der Bilder stark gewachsen. Künstler müssen nun auch ethisch einwandfrei und formvollendet sein. Postcolonial Studies dominieren, Kunst scheint es nur noch in Form von Raubkunst zu geben; die genuinen Formen der Kunst und ihre Wanderprozesse, die gerade hier so wichtig wären, interessieren nicht mehr. Ein fataler Irrweg. Zu Recht und durchaus mutig steht daher die 36. Ausgabe des Deutschen Kunsthistorikertags, der zum ersten Mal seit 1984 wieder in Stuttgart stattfand – damals anlässlich der Einweihung der postmoderne Formen kanonisierenden Staatsgalerie James Stirlings –, unter dem Rubrum „Form Fragen“.
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