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Trotz Arbeitskräftemangels : Die verflixte Freiheit der Freiberufler

  • -Aktualisiert am

Ort der Selbstbestimmung? Co-Working-Café in Berlin Bild: Picture Alliance

Freelancer haben in Deutschland bessere Chancen denn je, denn Arbeitskräfte sind knapp. Wenn da nicht ein Haken wäre.

          4 Min.

          Als sich Roberto-Fabio Nobile im Herbst 2021 als IT-Freiberufler selbständig machte, ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Selbstbestimmt und unabhängig wollte er an seinen Webdesign-Projekten arbeiten, Unternehmen in Sachen soziale Medien beraten. Auf eigene Rechnung und zu den eigenen Bedingungen. Vorher hatte Nobile für ein Start-up gearbeitet, jetzt wollte er eigene Wege gehen.

          Er ist schon länger begeistert von dem Modell: „Freelancer sind so etwas wie eine externe Brille für Unternehmen“, sagt er. „Als Externer bringt man oft ganz andere Ideen mit.“ Das Problem: Aus Angst vor Scheinselbständigkeit entscheiden sich viele Unternehmen doch oft für Festangestellte oder Leiharbeiter statt für Freiberufler. „Sie sind lieber in hundertprozentiger Sicherheit“, sagt Nobile.

          Kommt die „Freelancer-Revolution“?

          Während Google, Meta und andere Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley wie selbstverständlich gemischte Teams aus Festangestellten und Freiberuflern beschäftigen und das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ für die USA die „Freelance Revolution“ ausgerufen hat, haben es „Freie“ in Deutschland immer noch schwer. Zwar bescheren Fachkräftemangel, Digitalisierung, New Work und der demographische Wandel den Solo-Selbständigen auch hierzulande gute Ge­schäfte – das hat eine Studie des Portals Freelance.de ergeben. Gleichzeitig zeigt jedoch ein Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, dass ihre Zahl rückläufig ist. Sie lag 2020 ganze 22 Prozent niedriger als 2012.

          Der Begriff „Freelancer“ stammt aus dem mittelalterlichen Englisch. Freischaffende Ritter ließen sich für einzelne Kriege engagieren, sie waren sozusagen Mietlanzen („lance“). Zwar ist das In­strument der Wahl heute eher der Computer als die Lanze, der Begriff aber ist geblieben. In Deutschland spricht man zudem von freien Mitarbeitern oder Freischaffenden, die auf selbständiger Basis arbeiten.

          Angst vor der Scheinselbständigkeit

          Selbständige müssen ihren Gewinn selbst versteuern und unter Umständen Umsatzsteuer anmelden. In vielen Branchen brauchen sie einen Gewerbeschein. Alle Freelancer sind von der Arbeitslosen- und Unfallversicherungspflicht be­freit und müssen nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, Ausnahmen sind wenige Berufsgruppen wie selbständige Hebammen, Seelotsen oder Kunstschaffende. Unternehmen bietet es viele Vorteile, Selbständige zu engagieren, statt Mitarbeiter fest anzustellen: Freelancer genießen keinen Kündigungsschutz, verursachen weniger Verwaltungsaufwand, und es fallen keine So­zialabgaben an. Das ist gleichzeitig das größte Problem. Denn die Selbständigen sind als Einzelkämpfer, die manchmal monatelang für einen einzigen Auftraggeber arbeiten, häufig kaum von Angestellten unterscheidbar. Viele Unternehmer ha­ben daher Angst vor sogenannter Scheinselbständigkeit und schrecken davor zurück, Freelancer anzuheuern.

          Als scheinselbständig gilt nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht, wer nur formal als selbständiger Auftragnehmer auftritt, de facto aber wie ein abhängiger Beschäftigter arbeitet: wenn der Auftraggeber zum Beispiel anordnet, wo und wann welche Aufgabe zu erledigen ist. Das bezeichnet man als „Weisungsgebundenheit“, sagt Markus Harant, Rechtsanwalt für Arbeits- und Gesellschaftsrecht. Freischaffende gelten oft als scheinselbständig, wenn sie ihren Urlaub mit anderen im Unternehmen abstimmen, einen festen Arbeitsplatz in den Räumen des Auftraggebers haben oder regelmäßiges Gehalt bekommen.

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