Englisch in der Wissenschaft : Eine erzwungene Einsprachigkeit wäre autokratisch
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Hebt Unterschied zur Uni auf: Fachhochschule mit englischem Titel Bild: Wonge Bergmann
In der Wissenschaft soll die Mehrsprachigkeit gepflegt werden. Dem läuft aber die englische Monokultur zuwider, die in manchen Fächern anzutreffen ist.
Eine konsequente Anglophonisierung der europäischen Wissenschaft wäre von großem Nutzen. Sie nützt den großen Wissenschaftsverlagen, die so ihre Umsätze steigern, ebenso wie den Wissenschaftsorganisationen und Universitäten, indem wissenschaftliche Leistungen durch scheinbar objektive Verfahren wie Zitationsindizes vergleichbar und ökonomisierbar werden, und sie nützt den Wissenschaftlern, die sich in einem solchen System gut positioniert haben. Doch nützt die Anglophonisierung der europäischen Wissenschaft auch selbst? Wenn es das Kerngeschäft der Wissenschaft ist, neue Erkenntnisse und Ideen hervorzubringen – wird das durch die Anglophonisierung begünstigt oder wenigstens nicht beschädigt?
Anglophonisierung der europäischen Wissenschaft bedeutet nichts anderes, als eine mehrsprachige Wissenschaftslandschaft in eine einsprachige zu überführen. Es ist interessant, dass die Befürworter der Anglophonisierung in wissenschaftlicher Einsprachigkeit einen Fortschritt erblicken. Das ist völlig geschichtsvergessen. Es gab nämlich in Europa schon einmal eine Situation, in der sich die Wissenschaft einer einzigen „internationalen“ Sprache bediente, die zudem niemandes Muttersprache war: die Epoche der Scholastik, die das Lateinische als Wissenschaftssprache nutzte. Damals richtete man den Blick auf kanonische Texte wie die aristotelische Physik und förderte das in ihnen implizit enthaltene Wissen durch argumentationslogische Beweisführungen zutage. Als die frühneuzeitlichen Naturwissenschaftler wie Galilei und Newton nicht mehr in den Aristoteles, sondern in die Wirklichkeit selbst hineinsahen, mussten sie sich einer neuen sprachlichen Herausforderung stellen: Wenn zwei in die Wirklichkeit hineinsehen, sehen sie nicht dasselbe. Um diesen Dissens bearbeiten zu können, braucht es sprachliche Mittel, mit denen Intersubjektivität hergestellt werden kann. Das Lateinische der Scholastik hielt dafür jedoch keine Ressourcen bereit. Es war vor allem für den argumentationslogischen Umgang mit kanonischen Texten gemacht.
Daher gaben die neuzeitlichen Naturwissenschaftler das Lateinische auf und bauten ihre jeweiligen Muttersprachen zu Wissenschaftssprachen aus. Denn zur Herstellung von Intersubjektivität bedurfte es sprachlicher Ressourcen, wie sie nur in großen, gesamtgesellschaftlich vorgehaltenen Sprachen anzutreffen sind. Daher scheint es absurd, einen europäischen Vorteil im globalen Wettbewerb zugunsten neuer scholastischer Einsprachigkeit zu opfern, nur weil Akteure, die teils weder von Wissenschaft noch von ihrer Sprachlichkeit etwas verstehen und mitunter nicht einmal ansatzweise Englisch können, sich noch vor die amerikanische Lokomotive spannen lassen wollen.