Suhrkamp-Rechtskultur : Ohne den Unsinn der Radikalität
- -Aktualisiert am
Ein Konzeptpapier für die juristische Zeitschrift. Foto: Siegfried Unseld Bild: DLA Marbach
1968 plante Siegfried Unseld mit dem späteren Bundesinnenminister Werner Maihofer und dem Frankfurter Zivilrechtler Rudolf Wiethölter als Herausgebern eine juristische Zeitschrift neuen Stils. Warum wurde nichts daraus?
„Habemus periodicum juristicum!“ Stolz gab Siegfried Unseld am 13. Juni 1968 die Geburt einer neuen juristischen Zeitschrift zu Protokoll. Die knappe, zuweilen etwas holprige Skizze des Vorhabens, die Unselds Sekretärin Burgel Geisler in ordentliche Papierform brachte, lässt wenig erahnen von den Mühen und Umwegen der Vorarbeiten.
„Die Zeitschrift soll rechtspolitischen Charakter haben, die gesellschaftliche Gebundenheit des Rechts zeigen und vor allem einem neuen Bewusstsein einer kritischen Justiz dienen. Die Zeitschrift soll einer größeren Öffentlichkeit die politischen Auswirkungen des Rechts zeigen, und in erster Linie soll diese kritische Rechtswissenschaft Bezüge zwischen Recht und Gesellschaft aufdecken. Die Rechtswissenschaft soll hier auch aus ihrer bisherigen gesellschaftlichen Isolation heraustreten und soll auch Erkenntnisse anderer Wissenschaften, etwa der Soziologie, der Politologie, Psychoanalyse und evtl. auch der Theologie aufnehmen. Schwerpunkte der Zeitschrift sollen nicht so sehr rechtsstaatliche als vielmehr sozialstaatliche Argumentationen sein.“ Diskussionsorientiert sollte die neue Publikation sein, kritikfreudig. Außerdem: „Progressiv, substantiell, originell.“
Diese Prinzipien kamen schon bei der Wahl der Herausgeber zur Anwendung. Am Tisch der Gründungssitzung saßen der Rechtsphilosoph und Strafrechtler Werner Maihofer, seit 1967 Rektor der Universität des Saarlandes und von 1974 bis 1978 Bundesminister des Innern, der in Mainz lehrende Schweizer Strafrechtler und Schriftsteller Peter Noll, der Gießener Zivilrechtler Spiros Simitis, von 1975 bis 1991 Hessischer Datenschutzbeauftragter, und der Frankfurter Zivilrechtler Rudolf Wiethölter. Hinzugewinnen wollte man noch den als Justizreformer profilierten Frankfurter Landgerichtsdirektor Rudolf Wassermann, den Frankfurter Verfassungsrechtler Erhard Denninger und Bundesrichter Helmut Simon, der von 1970 bis 1987 dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts angehörte.
Hochschulreform, Wirtschaftsdemokratie, Abhörgesetz
Die Kalkulation war gemacht, die Gliederung der Hefte ebenso wie ein Zeit- und Themenplan abgestimmt; als Redakteur hatten die Herren Maihofers Doktoranden Harald Barnert rekrutiert, der zugleich die programmatische Weiterentwicklung von Unselds rechtswissenschaftlichen Verlagsprojekten vorantreiben sollte. Der Themenkatalog ist eine Liste der damals brennenden rechtspolitischen Streitpunkte: Unehelichenrecht, Strafvollzugsreform, Hochschulreform, betriebliche Mitbestimmung, Sittlichkeitsdelikte, Wirtschaftsdemokratie, Abhörgesetz. Einen Namen hatte das publizistische Kind noch nicht – „Zeitschrift für Recht und Gesellschaft“ sollte entweder Titel oder Untertitel sein, im zweiten Fall mit dem kleingeschriebenen Titel „recht“.
Inspiriert war das Vorhaben von der 1925 bis 1933 in der Berliner Verlagsbuchhandlung Rothschild erschienenen „Zeitschrift für die Erneuerung des Deutschen Rechtswesens“ mit dem Titel „Die Justiz“. Werner Maihofer hatte auf dieses Erbe hingewiesen, bald begeistert unterstützt von dem Frankfurter Strafrechtler Klaus Lüderssen, den Unseld mit einem vorbereitenden Exposé betraute. Das Ziel sollte nicht mehr die Einheit von Staat und Recht, sondern von Gesellschaft und Recht sein. Forciert wurde diese Verschiebung gegenüber dem Weimarer Vorbild durch die Orientierung an den empirischen Sozialwissenschaften und eine ambitionierte Rechtskritik.
Klaus Hämmerlein, Programmleiter des am 1. Juli 1963 von Unseld erworbenen juristischen Fachverlages August Lutzeyer, hatte sich bei einem Autorenbesuch in Saarbrücken ausführlich mit Maihofer über die Ausrichtung der Verlagsarbeit unterhalten. Ein konzeptionelles Revirement tat not, hatte Unseld den Verlag doch aus ökonomischem Kalkül erworben, parallel zum Kauf des Insel Verlages, dessen Auspizien dem Verleger ungewiss schienen.