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Gründerserie : Flaschen per Post

Flasche voll: Unternehmensgründer Dieter Büchl (rechts) und der Geschäftsführer Stephen Weich im Lager der Getränkelieferanten. Bild: Holde Schneider

Der Start-up-Gründer Dieter Büchl war eigentlich mal Versandspezialist für Druckerpatronen. Dann aber traf er mit einem gänzlich anderen Geschäft einen Nerv. Vielleicht ein bisschen zu sehr.

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          Tim Niendorf
          Politikredakteur.

          Dieter Büchl ist inzwischen im Getränkehandel bekannt. Dabei war der Vierundvierzigjährige ursprünglich Versandspezialist für Druckerpatronen. Dann aber traf er mit einem gänzlich anderen Geschäft offenbar einen Nerv – weil auch ihn der Nerv drückte. Büchl war es leid, Kästen zu schleppen oder nach Anbietern zu suchen, die ihm welche liefern konnten. Die Preismodelle: unübersichtlich. Die Gebühren: hoch. Die Lieferzeiten: unkalkulierbar. Sein Ziel: einen Getränkelieferanten gründen, der den stationären Getränkemarkt ersetzt.

          „Ich habe mich in der Getränkebranche umgehört, in der ich ja total fremd war“, sagt Büchl. „Von vielen Leuten habe ich gehört, meine Idee sei Unsinn. Es habe keinen Sinn, heute noch in Getränkelieferungen zu investieren.“ Trotz des Widerspruchs gab er nicht auf. „Ich habe gedacht: Wenn ihr nicht daran glaubt, dann erst recht.“

          Und so kam es auch. Das Konzept von Flaschenpost, wie Büchl sein Unternehmen nannte, ist eigentlich ganz einfach. Geliefert wird ohne Gebühr innerhalb von 120 Minuten nach Eingang der Online-Bestellung bei einem Mindestbestellwert von 20 Euro. Auch Vorbestellungen sind auf Kundenwunsch eingeführt worden. Niemand muss also den ganzen Tag zu Hause auf die Lieferung warten. Der Preis ist einheitlich, ganz gleich, ob man im ersten oder im sechsten Stock wohnt. Auch das Pfand wird abgeholt. Die Zielgruppe ist dem Unternehmen zufolge divers; sie reiche von Studenten bis hin zu älteren Menschen, die keine Kisten mehr tragen können. Wasser sei am beliebtesten, gefolgt von Bier, Limonaden, Säften.

          In neun Städten am Markt

          Mittlerweile ist Flaschenpost mit etwa 1800 Mitarbeitern in neun Städten am Markt, Ende des Jahres sollen es 30 Städte sein. Welche, das will Büchl noch nicht verraten. Es locken noch Standorte wie Berlin, München, Frankfurt oder Nürnberg. Dabei hätte man Flaschenpost von außen betrachtet schon zwei Monate nach der Gründung als Flop bezeichnen können. Büchl hatte das Start-up 2014 im westfälischen Münster gegründet und war, so kurios das klingt, zu erfolgreich. Schnell kam Flaschenpost mit der Auslieferung den Aufträgen nicht mehr hinterher. Das Versprechen der schnellen Lieferung war gefährdet. „Ich habe von früh bis spät nur Brände gelöscht, mich aber nicht um die Weiterentwicklung kümmern können. Wir hatten nur noch Papierberge im Lager und wussten nicht mehr, wie wir die abarbeiten sollen.“

          Also entschied Büchl, das Unterfangen zu unterbrechen, setzte sich ein Jahr lang an den Schreibtisch und analysierte seine Anfangsfehler. 2016 ging Flaschenpost abermals in Münster an den Start. Ein weiteres Jahr später, als er sicher war, es funktioniere nun, kam mit Köln der zweite Standort hinzu. Auch dort wurde Büchl vom Ansturm der Kunden überrascht. Nach einigen Wochen musste Flaschenpost Lieferungen in Teilen der Stadt einstellen. Ein Hindernis, sagt Büchl rückblickend, sei der Verkehr auf den zahlreichen Brücken über den Rhein gewesen. Auch in Hamburg musste Flaschenpost für einige Zeit sein Liefergebiet verkleinern. Viele Kunden waren nach anfänglicher Euphorie verärgert. Die Probleme seien nun behoben, sagt Büchl. In Köln half ein zweites Lager auf der anderen Rheinseite.

          Mittlerweile hat sich der Gründer von Flaschenpost in den Aufsichtsrat zurückgezogen, die Geschäftsführung übernahm Stephen Weich, 35 Jahre alt. „Es war kein kalter Wechsel“, sagt Weich. „Dieter und ich kennen uns seit 2016.“ Vom Erfolg des Unternehmens ist Weich trotz mancher Wachstumsschmerzen überzeugt; die Vorteile gegenüber dem stationären Handel seien ersichtlich: „Denken wir allein an die Schlange bei der Pfandrückgabe im Supermarkt. Das ist alles Lebenszeit. Und wir substituieren diese Lebenszeit durch Freizeit für den Endverbraucher.“ Jede Stadt mit mehr als 200.000 Einwohnern lohne sich für Flaschenpost. Schon in diesem Jahr erhoffe er sich einen Umsatz im dreistelligen Millionenbereich. Gewinne erzielt das Unternehmen nach eigenen Angaben schon in Münster und Köln. In der Regel, sagt Weich, dauere es ein bis anderthalb Jahre, bis Flaschenpost an einem Standort schwarze Zahlen schreibe.

          Der Wechsel an der Spitze des Unternehmens hänge mit den gewachsenen Herausforderungen zusammen, sagt Büchl. Ein Start-up in einem fachfremden Bereich ins Leben zu rufen ist das eine. Es groß zu machen das andere. „In der Gründungszeit ist man relativ allein unterwegs und macht alles rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Das ist der Kick für einen Gründer“, sagt Büchl. „Als unser zweiter Standort Köln eröffnet war, war dieses Gründergen nicht mehr so gefragt. Vielleicht bin ich mehr Gründer als derjenige, der das Unternehmen in der Skalierung vorantreibt. Das kann Stephen besser.“

          Es gibt schon erste Nachahmer

          Zugesetzt hat dem Image des Unternehmens zuletzt ein Artikel auf „Spiegel Online“, in dem Mitarbeiter kritisierten, dass sie im vergangenen Sommer ohne Klimaanlagen in den Transportern hätten fahren müssen. Im Gespräch mit der F.A.Z. sagt Büchl: „Das war auch ein Wachstumsschmerz.“ Flaschenpost habe schnell neue Transporter gebraucht, was sich als schwierig erwiesen habe. „Das musste ich auch erst mal lernen. Ich dachte: Weiße Autos, die gibt es wie Sand am Meer. Das ist nicht so. In dem Fall aber gab es eine Charge mit Autos, die gewisse Ausstattungsmerkmale nicht hatten, zum Beispiel Klimaanlagen.“ Das Problem sei mittlerweile behoben.

          Auch werden in dem Artikel Mitarbeiter zitiert, die sich darüber beklagen, für einen Teil der Kosten von Reparaturen aufkommen zu müssen, ohne einen Werkstattbericht gesehen zu haben. „Eine Beteiligung ist dann sinnvoll, wenn beispielsweise eine unverantwortliche und grob fahrlässige Fahrweise der Grund für einen Unfall gewesen ist, die Schuld also eindeutig beim Fahrer liegt“, sagt der neue Geschäftsführer Weich. Von Willkür könne also keine Rede sein.

          Dass auch spekuliert wird, mit der Umwandlung zu einer Europäischen Gesellschaft wolle Flaschenpost einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat verhindern, verwundert die beiden. Als SE könne Flaschenpost viel besser um externe Investoren werben, auch international. Schon bald dürfte das Geschäftsmodell nicht mehr an den nationalen Grenzen haltmachen.

          Die Kritik hält Weich und Büchl nicht davon ab, in diesem Jahr stark zu expandieren. Das ist auch ratsam, ist das Konzept mittlerweile doch so erfolgreich, dass es schon die ersten Nachahmer gibt. Zum Beispiel das 2017 gegründete Unternehmen Durstexpress. Dessen Versprechen: Lieferungen innerhalb von 120 Minuten, gebührenfrei. Ein Schelm, wer an eine Kopie denkt.

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