Trend zum Kollektiv : Die Forschung der vielen
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Die mutmaßlichen Gründe für den massiven Wandel sind vielfältig. Die wachsende Kollaboration auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften zeigt, dass nicht allein die durch immer komplexere Experimente notwendig gewordene, in großen internationalen Konsortien operierende „Big Science“ Anlass dafür sein kann. Auch zunehmende Spezialisierung und Arbeitsteilung in den Wissenschaften werden als Faktor angeführt, genau wie Vorteile der Zusammenarbeit angesichts knapper Ressourcen, höheres Prestige und Sichtbarkeit größerer Projekte sowie die massive Weiterentwicklung der Kommunikationstechnologie, die weltweite Kooperationen ohne teures und aufwendiges Reisen ermöglicht.
Dass sich Zusammenarbeit auszahlt, lässt sich wiederum einfach quantitativ nachweisen. Beide Gruppen um Wuchty und Larivière werteten in ihren Studien auch die Anzahl der Zitationen aus und fanden, wiederum übereinstimmend, dass Artikel großer Gruppen deutlich häufiger zitiert werden – eine Kennzahl, die im Wissenschaftsbetrieb üblicherweise zur Beurteilung der Qualität einer Veröffentlichung herangezogen wird. Dieser Effekt ist an sich noch nicht erstaunlich, denn wenn man davon ausgeht, dass Wissenschaftler sich auch selbst zitieren, wird ein Autorenkollektiv per Selbstzitation diese Kennzahl automatisch in die Höhe treiben. Doch auch, wenn Referenzen auf eigene Arbeiten entfernt wurden, blieb der Effekt bestehen: Arbeiten im Team besitzen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, einen großen Einfluss in der Community zu entwickeln.
Auch inhaltlich scheint die Forschung durch die Gruppengröße der Wissenschaftler beeinflusst zu werden. Soziologen von der University of Chicago präsentierten im vergangenen Jahr eine Studie, in der sie fünfzig Millionen wissenschaftliche Artikel auf deren Innovationskraft auswerteten, also prüften, inwiefern sie tatsächlich neue Ideen einführen. Ihr Ergebnis: größere Teams neigen dazu, populäre und anerkannte Ideen auszuarbeiten, während es eher die kleinen Gruppen sind, die revolutionäres Potential besitzen. Als Erklärung führen sie an, dass große Gruppen mit entsprechend hoher Forschungsförderung einem größeren Erfolgsdruck unterliegen. Kleine Gruppen hätten demgegenüber mehr zu gewinnen, aber weniger zu verlieren, wenn sie sich auf ungewohntes Terrain wagten. Die Autoren treten daher für Diversität der Forschungsformen ein. Forschungsgruppen verschiedener Größen unterliegen aber auch verschiedenen Dynamiken. 2007 zeigte eine Studie von Wissenschaftlern um Gergely Palla von der Universität Budapest, dass große Gruppen sehr stabil sind, selbst wenn Mitglieder ausgetauscht werden, während kleine Gruppen schnell wieder zerfallen, sobald sich Änderungen ihrer Zusammensetzung ergeben.