Ungarn und die deutschen Unis : Die Finanzfrage
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Für eine unabhängige Wissenschaft: March for Science in Frankfurt Bild: Ly, Martin
Die ungarsiche Regierung hat der freien Wissenschaft offen den Kampf angesagt. In Deutschland liegen die Dinge anders. Doch auch hier wächst die subtile politische Einflussnahme.
Bei der Beschneidung der Autonomie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften spielt ein Instrument die entscheidende Rolle, das sich auch an den deutschen Hochschulen seit langem wachsender Beliebtheit erfreut: die wettbewerbliche Vergabe von Fördermitteln. Selbstverständlich ist die deutsche Wissenschaftslandschaft nicht mit der ungarischen gleichzusetzen, die Verhältnisse in beiden Ländern unterscheiden sich beträchtlich, aber im Speziellen lohnt der Strukturvergleich.

Redakteur im Feuilleton.
Die schleichende Umstellung der Finanzstruktur, weg von der Grundfinanzierung, hin zur Projektförderung, macht es der Politik hierzulande möglich, weiter Einfluss auf die Hochschulen zu nehmen, die sie mit gewissen Einschränkungen in die Autonomie entlassen hat. Inzwischen hat sich die Projektforschung so aufgebläht, dass die Wissenschaft kaum mehr zu ihrer eigentlichen Tätigkeit kommt. Statt zu forschen und zu lehren, werden Berge von Anträgen geschrieben, Professuren werden mit Blick auf die „Drittmittelstärke“ vergeben, und der akademische Mittelbau passt sich unter dem Druck ständiger Neubewerbung dem Mainstream an.
Die auf diese Weise geschaffenen Papierberge werden nicht mehr qualitativ abgewogen, sondern nach Einheitsmaß gemessen. Verwaltung und Politik fehlt die Fachkenntnis und der Wissenschaft die Zeit. Die unerwünschten Nebenfolgen der Kennziffernwissenschaft haben Wilhelm Krull, Martin Lohse und Peter Strohschneider in der F.A.Z. beschrieben. Kurz: Wissenschaft verliert an Originalität, Qualität und Autonomie.
Die Abkehr von der herrschenden Tonnenideologie ist allerdings erst realistisch, wenn Wissenschaftspolitik und Förderorganisationen die Projektforschung zugunsten der Grundfinanzierung reduzieren. Davon ist wenig zu sehen. Im Gegenteil: Die Politik benutzt die Verteilung von Wettbewerbsgeldern vermehrt zur politischen Einflussnahme auf die Wissenschaft. Die Erfüllung wissenschaftsfremder Kriterien wird zur Voraussetzung für den Erwerb von Geldern. Oder Projekte werden mit politischem Unterton ausgeschrieben. Ein Beispiel sind die neu ausgeschriebenen Institute für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ob diese soziale Kohäsion (wissenschaftlich) erforschen oder (politisch) fördern sollen, lässt die Namensgebung andeutungsvoll in der Schwebe.
Die Folge dieser Entwicklung ist ein Klima der Unfreiheit und eine schleichende Moralisierung des wissenschaftlichen Diskurses zu Lasten genuin wissenschaftlicher Kriterien. Viele Wissenschaftler sehen das kritisch, aber kaum jemand erhebt offen Einspruch. „Das sehe ich genauso wie sie, Frau Kollegin oder Herr Kollege“, heißt es dann, „aber sagen kann ich das natürlich nicht.“ Dass man sich mit dem Unbehagen alleingelassen fühlt, liegt daran, dass der permanente Wettbewerb kollegiale Solidarität erstickt.
Als besonders schädlich erweist sich in diesem Zusammenhang die Exzellenzstrategie. Kritik wird regelmäßig mit dem Vorwurf erstickt, sie könne, würde sie publik, den Exzellenzstatus der Universität gefährden. Man kann daher noch so viele Appelle für die Wissenschaftsfreiheit formulieren und sich die schönsten Ziele in die Hochschulleitfäden schreiben. Erfüllt werden können sie erst, wenn die Strukturen dafür geschaffen sind. Das heißt: weniger Wettbewerb, mehr Grundfinanzierung. Und im Ergebnis mehr Freiheit.