Neustart in der Krise (2) : Die richtige Mischung
- -Aktualisiert am
Markenzeichen Schirmmütze: Chris Mock in seinem Arbeitszimmer Bild: Marcus Simaitis
Chris Mock ist eigentlich Tontechniker, seit Corona aber vor allem Bonbonproduzent. Das will er auch bleiben, wenn er wieder auf Tour gehen kann. Zweiter Teil unserer Serie „Neustart in der Krise“.
Chris Mocks Geschichte lässt sich süffig in einem Satz zusammenfassen: „Kamelle haben ihm den Kopf gerettet.“ Oder: „Mit zuckersüßer Strategie trotzt er der Krise.“ So oder so ähnlich kann man die Wende in seiner Berufsbiographie mit schönen Worten besingen. Aber das klingt zu harmonisch und soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter ein kleiner Kraftakt und der zeitweise Abschied von einem Lebenstraum steckte.
Von außen betrachtet, hatte und hat Chris Mock einen hippen Beruf. Als Tontechniker fährt der Kölner mit Rockbands von Gig zu Gig, sorgt in Clubs dafür, dass der Sound stimmt, und lebt nach solider Ausbildung beruflich sein Hobby aus. Seit der Pandemie war Schluss damit. Keine Konzerte, keine Buchungen, kein Geld in der Kasse. Corona hat die Veranstaltungsbranche mehr als ein Jahr lang stillgelegt, immerhin der sechstgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland.
Aber Chris Mock, 39 Jahre alt, hat eine Eigenschaft, die ihn krisenfester als andere macht, er ist flexibel und offen für Neues. Auch für den Plan seines Onkels Hans-Dieter. Der ist Jurist, passionierter Opernliebhaber und ärgerte sich gelegentlich über hustende Konzertgänger, die die Musiker irritieren und die Besucher nerven. Per Zufall war der Onkel auf die Bonbonmarke „Caruso“ gestoßen, Hustenbonbons, „im Kessel gekocht“, ist zu lesen auf der nostalgischen Dose mit dem Konterfei von Enrico Caruso. Jenem legendären Tenor, „der schon damals die Wirkung der Originalrezeptur von 1877 als wohltuend und lindernd“ empfand, so steht es im Kleingedruckten. Die Inhaberfamilie suchte aus Altersgründen Nachfolger. Am liebsten auch ein Familienunternehmen. Mocks Onkel bekundete Interesse und sprach seinen Neffen auf einer Familienfeier an. Der horchte auf. „Das war eine Mischung aus Glück und Zufall“, sagt Chris Mock über den Vorschlag, der sein bisheriges Berufsleben auf den Kopf stellen sollte.
Onkel und Neffe wurden sich mit den Eigentümern schnell handelseinig. Beide sind mittlerweile Gesellschafter, und auch Mocks Vater Walter macht mit und berät in Steuer- und Finanzfragen. „Wir ergänzen uns. Diese Konstellation ist ein Riesenglück, ich habe meine Familie im Hintergrund, die mich unterstützt“, sagt Mock. Der Gedanke ist ihm wichtig, denn ihn ärgern die Man-muss-nur-wollen-jede-Krise-ist-eine-Chance-Schönfärbereien. „Es soll nicht so rüberkommen: Jeder schafft das, wenn er nur genug arbeitet.“ Für den Mann mit dem Markenzeichen Schirmmütze war aber klar, dass er sich für keine Arbeit zu schade ist. Als die Aufträge unvermittelt wegbrachen, hätte er sich auch „beim Discounter an die Kasse gesetzt“, sagt er. Dass er in der Domstadt, die in Karnevalszeiten im ganzen Land für ihre Kamelle-Umzüge berühmt ist, einmal ausgerechnet mit dem Verkauf von Bonbons sein Geld verdienen würde, kam für ihn überraschend. Nach dem Lockdown habe er zwar keine Existenzangst bekommen. „Mein erster Impuls war: Komisch, man weiß nicht, was kommt. Und auch: Cool, jetzt kann ich all die anderen Dinge machen, die sonst liegen bleiben, zum Beispiel mich um die Fotografie kümmern. Dann kam aber das Erwachen, der ernüchternde Gedanke: Das wird jetzt lange nichts mehr mit Konzerten. Da trat Perspektivlosigkeit ein. So viel Geld hatte ich nicht beiseitegelegt.“
Vom „Blue Shell“ an den Schreibtisch
Statt wie früher in der großen Lanxess Arena, im traditionsreichen E-Werk oder wie so oft im Kölner Club „Blue Shell“ für den perfekten Sound der Livebands zu sorgen, sitzt er aktuell stundenlang am Computer und arbeitet sich durch E-Mails. Seine Wohnung, in der er mit seiner Freundin, einer Medieninformatik-Studentin, lebt, ist sein Hauptarbeitsplatz. Draußen auf der belebten Geschäftsstraße in Köln-Kalk herrscht trotz Pandemie erstaunliches Treiben, während nach hinten raus ein grüner Hof lockt, auf dem sich ab und an ein „Kölner Papagei“ blicken lässt. Chris Mock mag das alte, von ehemaligen italienischen Gastarbeitern geprägte Arbeiterviertel Kalk mit seinem Multikulti-Leben. „Hier kann man mitten in der Nacht noch eine Linsensuppe bekommen“, freut sich der Vegetarier.