Reden wir lieber von Verbannung
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Protest gegen den schließlich abgesagten Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin Bild: dpa
Der Begriff Cancel Culture ist zu ungenau, um die vielfältigen Formen akademischen Ausschlusses zu erfassen. Dass es diesen Ausschluss gibt, können nur Lügner oder Ignoranten bestreiten. Ein Gastbeitrag.
Der Begriff der „Cancel Culture“ hat den Nachteil, dass ausschließende Handlungsweisen, die durchaus legitim sind, damit nicht erfasst werden können, weil er negativ konnotiert ist: Einer Astronomin, die zu einer Tagung keine Astrologen zulässt, sollte man nicht Cancel Culture vorwerfen. Vielmehr handelt es sich um eine Form legitimer Begrenzung unter Inanspruchnahme wissenschaftsmethodischer Grenzen der Wissenschaftsfreiheit. Wer an einer Universität den Holocaust leugnen will und ausgeladen wird, wird ebenfalls nicht gecancelt, sondern mit Verweis auf positivrechtliche Grenzen akademischer Freiheit legitim begrenzt. Und auch wer moralische Grenzen verletzt (etwa durch Tierversuche), selbst wenn diese nicht rechtlich kodifiziert sind, wird gegebenenfalls nicht Opfer der Cancel Culture, sondern mit guten Gründen ausgeschlossen.
Vielleicht sollte man also in positiver Hinsicht von legitimer Begrenzung durch wissenschaftsmethodische, rechtliche und moralische Grenzen sprechen. In negativer Hinsicht bietet sich der Begriff der akademischen Verbannung an. Im Zentrum steht dabei die moralisch motivierte Verbannung: Es wird geltend gemacht, dass Menschen ihr Recht auf freie Forschung und Lehre verwirken, etwa wenn sie rassistisch sind oder antisemitisch, islamophob, transphob. Wenn sie es sind, darf man sie in der Tat verbannen. Nur sind sie es in den meisten Fällen eben nicht.
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