Cancel Culture an Hochschulen : Chronik einer orchestrierten Verleumdung
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Die Philosophieprofessorin Kathleen Stock Bild: Andrew Crowley for the Telegraph
Gibt es Redeverbote an den Universitäten? Oft wird in diesem Zusammenhang verneinend auf die Studentenproteste in der Türkei verwiesen. Warum die Kampagne gegen die Philosophin Kathleen Stock das Gegenteil belegt.
Die Rede von Cancel Culture sei ein Phantasma der akademischen Rechten und ein Ablenkungsmanöver angesichts weltweit zu verzeichnender Einschränkungsversuche der Forschungsfreiheit, heißt es unisono in den sich progressiv wähnenden Arealen der hiesigen Hochschulen. So hat Robin Celikates, Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin, kürzlich in einem Beitrag für den Deutschlandfunk behauptet, dass „die selbsternannten Verteidiger der Wissenschaftsfreiheit“ in der Bundesrepublik „ideologische Nebelkerzen werfen und vom vermeintlichen Siegeszug von Political Correctness, Cancel Culture und Identitätspolitik fabulieren“ würden. Richte man den Blick auf die Türkei, wo die Polizei seit Wochen gegen Studenten der Istanbuler Bogaziçi-Universität vorgeht, so werde hingegen deutlich, was „der neueste Eintrag auf einer langen Liste staatlich orchestrierter Attacken gegen kritische Intellektuelle und Akademiker“ tatsächlich sei.
Bemerkungen wie diese sind aufschlussreich, weil sie durch internationale Vergleiche die deutschlandspezifischen Probleme zu trivialisieren versuchen. Zumal hier der Widerspruch zwischen dem für kritisch gehaltenen Selbstverständnis und den eigenen aktivistischen Reflexen aufscheint. Denn derselbe Robin Celikates hat sich im Januar mit rund 600 anderen Dozenten aus dem In- und Ausland an einer privat orchestrierten Attacke beteiligt, die als „Offener Brief gegen Transphobie in der Philosophie“ euphemisiert war, sich aber einzig gegen eine Wissenschaftlerin richtete: die Britin Kathleen Stock. Die an der University of Sussex lehrende Professorin für analytische Philosophie gehört gemeinsam mit ihren Kolleginnen Sophie Allen, Mary Leng, Jane Clare Jones, Rebecca Reilly-Cooper und Holly Lawford-Smith zu den Protagonistinnen des genderkritischen Feminismus, der im akademischen Rahmen die Grundüberzeugungen des Gender-Paradigmas revidiert.
Eine Reihe von Falschaussagen
Die Denkerinnen widersprechen der transaktivistischen Vorstellung, dass es eine „angeborene Geschlechtsidentität“ gebe, der das biologische Geschlecht ohne medizinischen Befund anzupassen sei. Solche Einwände werden als „transphob“ abgetan, was in manchen Milieus als fast noch niederträchtiger als eine für „rassistisch“ befundene Aussage gilt. Um sich das Stigma der „Transphobie“ einzufangen, reicht es, die gegengeschlechtliche Hormoneinnahme bei Vierzehnjährigen oder die angeblich „inklusiv“ gemeinte misogyne Bezeichnung „Menstruierende“ für Frauen abzulehnen. Wer einmal als „transphob“ gescholten wurde, muss mit Dauerattacken und immensen Reputationsschäden rechnen.
In Großbritannien verschärfte sich dieser Konflikt, als 2020 der Gender Recognition Act (das britische Pendant zum hiesigen Transsexuellengesetz) reformiert werden sollte, um fortan beispielsweise Männern, die sich als Frauen „fühlen“, ohne medizinische Diagnose den rechtlichen Geschlechtswechsel zu erlauben. Immer wieder kommt es zu mitunter gewalttätigen Übergriffen von Transaktivisten auf Feministinnen und zu Verleumdungskampagnen. Zu den Drangsalierten zählen neben Stock unter anderem die Historikerin Selina Todd (Oxford), die Juristin Rosa Freedman (Reading) sowie die Kriminologin Jo Phoenix (Open University). Dass es sich ausschließlich um Frauen handelt, beweist den misogynen Charakter des Transaktivismus und der gendertheoretischen Unterstützerkreise an den Hochschulen, die im Verdacht stehen, gezielt dem aktivistischen Druck zuzuarbeiten.