Wer wird noch Chirurg? : Tupfer, Schere, Überstunden
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Bild: Tresckow
Chirurg ist ein Beruf mit Zukunft. Doch den Nachwuchs schrecken die Arbeitsbedingungen in den Kliniken ab. Die Interessenvertretung der Assistenzärzte und eine Werbekampagne an den Universitäten sollen Abhilfe schaffen.
Der Nachwuchs rebelliert. "Wenn wir jetzt nicht die Chance nutzen, mitzureden - wann dann?", fragt Philipp Geisbüsch, ein angehender Gefäßchirurg am Universitätsklinikum Heidelberg. Die günstige Gelegenheit, die Geisbüsch und viele seiner jungen Kollegen nutzen wollen, beruht auf einer Entwicklung, die für Patienten und Chefärzte zugleich problematisch ist: Den Chirurgen geht der Nachwuchs aus. Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen geht von 400 bis 600 Neueinsteigern im Jahr aus, nötig wären aber rund 1000. Mangelnde Perspektiven für Assistenzärzte, eine schlecht strukturierte Weiterbildung in den Krankenhäusern, extreme Arbeitszeiten, zu viele Verwaltungspflichten - das sind die Gründe, die gemeinhin für den Mangel genannt werden. Gut 15 Jahre kann der steinige Weg vom Assistenzarzt bis zum Chefarzt dauern, wenn man es denn auf eine der 2800 Stellen in Deutschland schafft.
Die entscheidende Basis für eine Klinikkarriere legt die mindestens sechs Jahre dauernde Fortbildung zum Chirurgen nach dem Medizinstudium; Unfall-, Thorax-, Viszeral-, Kinder-, Herz-, Allgemein- und Gefäßchirurgie sowie Plastische Chirurgie sind die zur Wahl stehenden Vertiefungsmöglichkeiten. Gerade in dieser Phase aber versagen viele Kliniken, weil ein strukturiertes Curriculum fehlt. "Unsere Weiterbildung hängt immer wieder von der Willkür des eigenen Chefs ab", kritisiert etwa Philipp Geisbüsch. Dennoch müssen die Assistenzärzte es schaffen, wichtige Operationen in ihrer Fortbildungszeit nachzuweisen. Welche diese sind und wann ein bestimmter chirurgischer Eingriff erfolgen sollte, ist meist nicht festgelegt. So zieht sich die Ausbildung oft unnötig in die Länge. Die Karriere verzögert sich, die Überstunden, Nacht- und Wochenenddienste nehmen indes zu - und die Bezahlung steigt nicht im gleichen Maße wie die Anforderungen. Die Folge? In ihrem ersten Fachsemester Humanmedizin sind noch rund 20 Prozent der Studenten an der Chirurgie interessiert, am Ende des Studiums sind es nur noch 5 Prozent.
Die Arbeit geschickt verteilen
Der Nachwuchsmangel bringt junge Ärzte nun aber in eine gute Verhandlungsposition. Eine transparente Fortbildungsstruktur, flexiblere Arbeitszeitmodelle und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - so lauten die Forderungen. "Die heutige Generation hat ein profundes Interesse daran, ein normales Leben zu führen", sagt Philipp Geisbüsch. Sein Chef, Dittmar Böckler, der ärztliche Direktor für Gefäßchirurgie am Heidelberger Universitätsklinikum, lässt den 31 Jahre alten Familienvater dafür nun beispielsweise in eine zweimonatige Elternzeit gehen. Der Professor plädiert dafür, sich auf die Bedürfnisse der Berufsanfänger einzustellen. Das sei schlicht nötig, um auch künftig die ärztliche Versorgung der Patienten zu sichern.
Allerdings verweist Böckler auch auf die Kehrseite dieser Bemühungen. "Wer für Überstunden statt Bezahlung einen Ausgleich in Freizeit erhält, dem fehlt auch Ausbildung und damit Berufserfahrung", sagt er. So könne man Forschung, Lehre und Patientenversorgung kaum in 24 Stunden packen, wenn auch noch Freizeit und Familie berücksichtigt würden, zumal auch das Arbeitszeitgesetz Grenzen setze. Sinnvoll sei es deshalb, die Arbeit so zu verteilen, dass die Assistenzärzte ihre medizinischen Aufgaben erfüllen könnten. "Allein der Papierkrieg macht 20 Prozent ihrer Arbeit aus", überschlägt Böckler - das aber könnten genauso gut auch Verwaltungskräfte erledigen.
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