Studium in Asien : Von Frankfurt nach Ho-Chi-Minh-Stadt
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Der Lehrbetrieb beginnt mit Englisch-, Physik- und Mathematikkursen Bild: AFP
In dieser Woche wird im früheren Saigon die Vietnamesisch-Deutsche Universität eröffnet. Mit kräftiger Unterstützung aus Hessen: Gründungspräsident ist Wolf Rieck, der bisher die Frankfurter Fachhochschule leitete.
Ein Abenteuer sei das Ganze schon, gibt Wolf Rieck zu. "Aber ich bin ein abenteuerlustiger Mensch." Und er fühlt sich mit 65 Jahren jung und gesund genug, sich auf dieses Wagnis einzulassen. Das Ziel, das er sich gesetzt hat, würde auch einem Jüngeren vollen Einsatz abverlangen: im fernen Vietnam, gewissermaßen auf der grünen Wiese, eine Universität aufbauen; Forschung und Lehre nach westlichem Standard in einem politischen System etablieren, das trotz aller Fortschritte noch immer weit von der Demokratie entfernt ist.
Seit Anfang September leitet Rieck offiziell nicht mehr die Frankfurter Fachhochschule, sondern die Vietnamesisch-Deutsche Universität in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon. Eine Hochschule, die derzeit im Wesentlichen aus ihm und zwei Professoren der Fachhochschulen Frankfurt und Gießen-Friedberg besteht. Eine Hochschule, die vor zwei Jahren noch nicht einmal als Idee existierte.
„Zwei entschlossene Männer“
„Zwei entschlossene Männer“ haben nach Riecks Worten Ende 2006 den Gedanken gefasst, eine deutsch-vietnamesische Hochschule mit Vorbildcharakter zu gründen: der damalige hessische Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) und sein vietnamesischer Kollege Nguyen Thien Nhan. Ungewöhnlich schnell wurde der Plan in die Tat umgesetzt: Im Mai 2007 unterschrieben beide Länder eine Absichtserklärung, im Februar dieses Jahres den Gründungsvertrag. Corts lud die hessischen Hochschulen ein, sich mit Personal und Lehrplänen an dem Vorhaben zu beteiligen; auch Hochschulen aus Baden-Württemberg und die Wirtschaft zeigten Interesse. Als Gründungspräsident empfahl sich Rieck wegen seiner langjährigen Kontakte zu dem südostasiatischen Land. Schon 1991 erklärte er vietnamesischen Studenten die Marktwirtschaft; später, als Professor an der FH Schmalkalden, schloss er eine Partnerschaft mit einer vietnamesischen Hochschule.
Gut trifft es sich, dass Rieck Wirtschaftswissenschaftler ist, denn die Ökonomie soll neben den Ingenieur- und Gesundheitswissenschaften ein Schwerpunkt der neuen Universität sein. Doch bevor die zunächst 70 Studenten in Ho-Chi-Minh-Stadt Vorlesungen der ersten beiden angebotenen Studiengänge Elektrotechnik und Bauingenieurwesen hören, wird noch ein Jahr vergehen. Der Lehrbetrieb beginnt in diesem Monat mit Englisch-, Physik- und Mathematikkursen sowie Seminaren, in denen Lerntechniken vermittelt werden sollen. Für das eigentliche Bachelor-Studium, das sich daran anschließt, greifen Rieck und seine Kollegen auf Curricula der Fachhochschulen Frankfurt und Gießen-Friedberg zurück. Dieser Pragmatismus, überhaupt das flotte Vorgehen der Initiatoren, hat in manchen hessischen Hochschulen Kritik hervorgerufen, wie Rieck gesteht.
Gastland finanziert Universität zum Teil
Risikofreudig erscheint auch die enge Bindung an den vietnamesischen Staat, die die deutschen Hochschulpioniere eingehen. Das Gastland finanziert die Universität zum Teil; in welcher Höhe genau, ist nach Riecks Worten noch unklar. Ihr Status sei der einer staatlichen Einrichtung, "ich bin so eine Art vietnamesischer Beamter". Dennoch, glaubt der Präsident, werde die Hochschule so autonom sein wie keine andere in Vietnam. Das stelle eine Satzung sicher, die Freiheit von Forschung und Lehre garantiere und dem Uni-Präsidium eine starke Stellung zubillige. Beim Ausarbeiten dieses Regelwerks hat sich Rieck nach eigenem Bekunden von einem bewährten Vorbild inspirieren lassen - der Satzung der Technischen Universität Darmstadt, die den Rang einer hessischen "Modellhochschule" genießt.
Dass die Universität durch ihre Grundordnung ausreichend vor Eingriffen geschützt ist, darauf vertrauen ihre deutschen Förderer: das Bundesforschungsministerium, das in den nächsten vier Jahren sechs Millionen Euro dafür bereitstellt, und das Land Hessen, dessen Jahreszuschuss laut Rieck von derzeit 450.000 auf 1,5 Millionen Euro steigen soll. Auch in der Industrie hätten sich Gönner gefunden: Der Gesundheitskonzern Fresenius etwa wolle eine mit 1,25 Millionen Euro ausgestattete Professur stiften; weitere Unternehmen wie die Schaeffler-Gruppe und die Deutsche Telekom hätten ebenfalls Unterstützung in Aussicht gestellt. Nicht zuletzt füllen die Studenten selbst die Kasse ihrer Alma Mater: Die Studiengebühr beträgt 1500 Dollar im Jahr.
Doziert wird vorerst in einem Gebäude der Vietnamesischen Nationaluniversität. Mit dessen Umbau hat Rieck einen deutschen Architekten beauftragt, damit zum Beispiel beim Verlegen von Datenleitungen westliche Standards eingehalten werden. Später soll die junge Universität einen Neubau erhalten, wofür Vietnam nach Riecks Worten einen 100-Millionen-Dollar-Kredit bei der Weltbank beantragen will. 20 Hektar seien für das Vorhaben reserviert, rund 5000 Studenten solle die Hochschule im Jahr 2020 beherbergen. "Für vietnamesische Verhältnisse wäre das immer noch eine kleine Universität."
Unterhaltungen vorerst auf Englisch
Mit den Hochschülern und einheimischen Lehrkräften, die Rieck einstellen will, wird er sich auf Englisch unterhalten. Die Landessprache beherrscht er nicht, aber er möchte daran arbeiten, auch wenn das Vietnamesische wegen der vielen Nuancen bei der Aussprache nicht leicht zu lernen sei. Dass er als Präsident regelmäßig in Ho-Chi-Minh-Stadt sein muss, steht für Rieck fest; er will aber ebenso in Deutschland für seine Institution werben.
Der Kontaktpflege dient auch, dass Riecks Frankfurter Amtsnachfolger Detlev Buchholz ihn auf der nächsten Vietnam-Reise begleiten wird. Am 10. September ist die Eröffnungsfeier, vor ein paar Tagen wollte Rieck fliegen. Nach der Landung galt es, sein Programm zu absolvieren, ohne sich vorher ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. Das, sagt er, sei sein Rezept gegen den Jetlag: „Duschen und den Tag durchstehen.“