Studieren im Ausland (10) : Sydney – büffeln statt Beach und Burger
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Von wegen Sandstein-Romantik: Die Bibliothek der Macquarie-Universität in Sydney. Bild: Christoph Hein
Wer in Australien studiert, wird schnell als Tourist verspottet. Doch die Ansprüche in Sydney und anderswo sind hoch. Wer sich mit Kosten und Heimweh arrangiert, wird reich belohnt.
Was hat der Mann nicht alles gesehen. Ägypten und Amerika, Indien, Jamaika, Schottland und England sowieso, und dann, zum Höhepunkt der lebenslangen Reise dieses Weltbürgers des früheren 19. Jahrhunderts, Australien. Als Gouverneur des Bundesstaates New South Wales sorgte Generalmajor Lachlan Macquarie für Recht und Ordnung in der Sträflingskolonie. Und nun folgt auf seinen Spuren die 21 Jahre alte Aylin Unalgan aus Gelsenkirchen, studiert an der nach dem australischen Gründervater benannten Universität in Sydney. Macquarie brauchte 1809 für seine Reise ans andere Ende der Welt mit der HMS Dromedary noch sieben Monate. Der jungen Aylin genügten gut 20 Stunden mit dem Flugzeug. Und doch kommen ihr Australien und die Macquarie University in den ersten Stunden wohl so fremd vor wie dem Briten der Fünfte Kontinent gut 200 Jahre zuvor.
„Am Anfang war es schon anstrengend“, sagt die Studentin, die später in Deutschland Englisch und Sozialwissenschaften unterrichten will. „Es war viel kälter hier als erwartet. Alles war größer. Ich brauchte Zeit, um mich daran zu gewöhnen.“ Wer in ein Entwicklungsland wechselt, der wird von seinen Kommilitonen vielleicht bedauert, insgeheim bewundert. Aber Sydney? Das klingt nach Bondi Beach und Burger, nach Sonnenmilch und Surfboard. „Einige haben lachend gefragt, ob ich hier Urlaub machen will“, sagt Aylin. Doch wer das fragt, der kennt die Unis in Australien schlecht. Denn lange schon ist Bildung einer der größten Wirtschaftsfaktoren des Landes – Australien exportiert sie nach Asien, aber die Universitäten ziehen auch Studenten von dort an.
Wie ein Urlaubsresort wirkt der 130 Hektar riesige Campus der Macquarie University im Norden der Metropole Sydney denn auch ganz und gar nicht. Sie ist keine der „Sandstone Unis“, keine jener Hochschulen, die mit Tradition punkten, wie die 1850 gegründete University of Sydney. Auch in den Ranglisten liegen andere vor ihr: Die Australian National University in der Hauptstadt Canberra ist Nummer 22 im QS Ranking, gefolgt von der Universität von Melbourne (42), derjenigen von Sydney (46) und ihrer beiden Nachbarn University of New South Wales (49) und University of Technology (193). Mit Platz 247 ist Macquarie im Norden Sydneys im Weltmaßstab nicht schlecht aufgestellt – die nach dieser Liste beste deutsche Hochschule, die Technische Universität München, schafft Platz 54. Und die gerade mal 50 Jahre alte Macquarie hat 2015 rund eine Milliarde australische Dollar Spendengelder investiert, um sich mit ihren fast 40 000 Studenten allmählich nach vorne zu arbeiten. Mehr als hundert ihrer Wissenschaftler zählen zu den weltweit führenden ein Prozent ihrer Disziplin.
Neubauten und Zweckbauten aus den 70er Jahren, ein Krankenhaus im Bau und eine neue Bibliothek, alles gelegen in einem großen Park, bestimmen das Bild. Hunderte Studenten aus aller Herren Ländern arbeiten hier unter freiem Himmel an ihren Laptops, diskutieren, lesen. Ein ganz normaler Campus an einem Sommertag, wie es scheint. Und doch ist etwas anders: Es ist diese Leichtigkeit des Seins, die das ganze Land ausstrahlt. Die Sonnensegel über den Terrassen der Mensa. Der Kindergarten, in dem der Nachwuchs draußen herumtollt. Das Schreien der Kakadus in den hohen Bäumen. Es sind die Schilder an den Räumen zum großen Garten: „Campus Wellbeing“ steht auf der einen Tür, auf der nächsten „Massage“, und daneben logiert der „Career Service“. Es ist, als ob der dunkelblaue Himmel über Australien ein dauerhaftes Lächeln auf die Gesichter malte. Und das trotz Lerndruck und Prüfungsangst.
„Wir müssen hier richtig büffeln“, sagt Aylin. Und obwohl sie gut Englisch konnte, sei es schwer gewesen, schnell auf den Stand der Muttersprachler zu kommen. Und dann sagt Aylin, was sie alle hier sagen: „Sydney ist so teuer. Ohne ein Stipendium ist es praktisch unmöglich, hier zu studieren.“ Das Zimmer in einer Studenten-Wohngemeinschaft mit fünf Mädchen kostet sie 550 australische Dollar (388 Euro) je Woche. „Auf eigene Faust kommt praktisch keiner“, sagt ihre Professorin, die Deutsche Ulrike Garde. Sie leitet das Programm „Sprachen und Kulturen“ bei Macquarie. Der Bachelor kann schnell 45.000 australische Dollar und mehr kosten, zuzüglich Lebenshaltungskosten.
Klare Karrierewege an den Hochschulen
Garde ist, wie eine ganze Reihe anderer deutscher Hochschullehrer in Sydney, Melbourne, Canberra oder Brisbane, längst in Australien verwurzelt. Auch für sie sind die Bedingungen besser als in der Heimat – die Professorengehälter liegen höher, und trotz des teureren Lebens in Australien bleibt mehr übrig. Die Karrierewege sind klarer und verlässlicher als an deutschen Hochschulen, die interdisziplinäre Vernetzung gilt als sehr gut. Der Lebensweg der meisten deutschen Hochschullehrer in Sydney klingt ähnlich: gekommen, um zu schnuppern, in Land und Leute verliebt, alles darangesetzt, um wiederzukehren und dann zu bleiben. Garde kam 1990 nach Melbourne, lebt seit 2002 in Sydney. Am Anfang aber stehen oft nur sechs Monate an einer der fünf Hochschulen der Stadt. „Wenn man als Studentin den Aufenthalt langfristig plant, sollte es mit einem Stipendium klappen“, macht Garde dem Nachwuchs Mut. So hat ihre Studentin Aylin Unalgan für ein halbes Jahr eine Unterstützung in Höhe von 10 000 australischen Dollar erhalten.
Garde und ihre Kollegin, Martina Möllering, Dean der Geisteswissenschaftlichen Fakultät (Faculty of Arts) bei Macquarie, bemühen sich intensiv darum, Brücken nach Deutschland zu bauen. Sie entsenden australische Studenten, die etwa in Bochum Deutsch lernen, und bekommen Deutsche, die über den Horizont schauen wollen. „Ich habe von der Chance ganz einfach bei uns an der Uni in Essen am Schwarzen Brett gelesen“, sagt Aylin. Es folgten das Schreiben der Bewerbung, Interviews, das Warten auf die Besetzung der drei zu vergebenden Plätze.
„Hier ist es schon anstrengender, das Lernpensum ist umfangreicher, wir haben mehr Prüfungen“, sagt Aylin. Rausreden geht nicht. Viel mehr als den riesigen, grünen Campus und am Wochenende die Strände von Manly und Bondi hat sie noch nicht gesehen. Doch wird auch sie die Chancen nutzen, die „Down Under“ bietet: Als Nächstes steht ein Trip ans Great Barrier Reff vor Cairns auf dem Programm.
Gelebte Internationalität
Das wird auch Jule Thiemann wohl noch besuchen. Die Literaturwissenschaftlerin ist aus Hamburg nach Sydney gewechselt. Denn Macquarie bietet der Promovendin einen doppelten Abschluss: Als „Dr. phil“ und als „PhD“. Drei Jahre dauert die Doppelpromotion, zwei davon kann sie in Australien verbringen. „In Hamburg habe ich mich als Promovendin immer als Einzelkämpferin gefühlt. Hier gibt es unzählige Angebote zur Zusammenarbeit“, erzählt sie begeistert. „Alle meine Freunde waren superneidisch und fragten, wie ich dieses Stipendium der Macquarie ergattert habe. Einfach war es nicht. Man muss schon publiziert haben und sehr gute Abschlüsse vorlegen.“
Ihre Kollegin Eva Schmidt möchte keinen Tag auf dem Campus missen: „Ich habe mich noch nie so gut aufgenommen gefühlt wie hier in diesem internationalen Gefüge.“ Und dann fügt sie an: „Während in Deutschland noch an Konzepten dazu geschrieben wird, wird hier an der Uni Internationalität längst gelebt.“ Es gebe immer Neulinge, die offen für Freundschaften seien. „Wir haben uns mit den Deutschen hier zusammengetan und zeigen deutsche Filme“, sagt Aylin. Das hilft vielleicht auch gegen Heimweh – denn Australien ist, das beweist sich hier, weit weg: „Ich vermisse meinen Fußballverein, die TSG Sprockhövel, total“, platzt es aus ihrer Kommilitonin Svenja Zühlke heraus. „Hier ist es toll, aber für immer kann ich es mir nicht vorstellen.“
Mehr Interesse durch Trump und Brexit
Wer das Heimweh besiegt und die Kostenfrage löst, auf den warten ungeahnte Möglichkeiten. „Das Tolle an den Universitäten hier ist, dass sie auf höchstem Niveau arbeiten und dabei vertraut erscheinen, obwohl sie Unmengen neuer Erfahrungen bieten“, sagt Garde. „Alle Unis sind sehr multikulturell geprägt. Hier lernt man wirklich das gute Zusammenleben mit Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft.“ Der Ausländeranteil wuchs 2016 um 11 Prozent, 2015 um knapp 10 Prozent. Der Dachverband Universities Australia erwartet „wachsendes Interesse aus Europa, dem Mittleren Osten und anderen westlichen Ländern als Reaktion auf den Brexit und die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten“. Schon jetzt sind die Zahlen der Anfragen aus Süd- und Mittelamerika, von wo die Studenten bislang in der Regel nach Nordamerika wechselten, stark gestiegen.
Gleichwohl ist das Zusammenleben und -lernen auch hier nicht immer einfach: sind da doch zum Beispiel die Chinesen, die viele als Lernroboter wahrnehmen. „Aber die haben es ja auch nicht leicht. Oft kommen sie, weil die ganze Verwandtschaft für sie Geld zusammengekratzt hat. Dann stehen sie unter einem so enormen Leistungsdruck, wie kein deutscher Student ihn kennt“, sagt Schmidt.
Ada Bieber, die aus Berlin kam, um an der altehrwürdigen University of Sydney Germanistik zu lehren, ist Direktorin des Informationszentrums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Australien. „Die Unis positionieren sich zwischen den amerikanischen und den asiatischen Hochschulen“, sagt sie. „Alle Studenten, die englischsprachig arbeiten wollen, sollten Australien ins Auge fassen.“
Pralles Leben
Dass Sydney eine teure Stadt ist, weiß man. So kosten auch die Vergnügen: Eine Kugel Eis in der Waffel schlägt mit umgerechnet 3,20 Euro zu Buche – dafür gibt es den Blick auf die schönste Bucht der Welt gratis dazu. Und genau das ist der Schlüssel zur Stadt: Sie bietet unendliche Möglichkeiten, die fast nichts kosten. Niemand muss eine teure Touristenfahrt über die Bucht buchen, wenn er auch mit der Fähre 45 Minuten nach Manly fahren kann. Ein Tag Sonnenbaden oder Surfen an den Stränden von Manly oder Bondi, von Coogee oder Clovelly ist genauso kostenlos wie eine Wanderung entlang der Bucht. Viele Australier nutzen jede freie Minute für Sport – kaum eine Rasenfläche, auf der nicht trainiert wird. In den Bars und Restaurants der Stadt wird es dann teuer – aber zumindest bringen sie in In-Vierteln wie Surry Hills, Potts Point oder Chippendale ordentliche Portionen auf den Teller. Legendär sind die Märkte an den Wochenenden, die oft schönes Kunsthandwerk oder Antiquitäten anbieten. An Feiertagen wie dem Australia Day gibt es auch an den Touristenplätzen wie vor dem Opernhaus kostenlose Konzerte. Und am Ende des Tages ist die Freundlichkeit und das Lächeln der Australier mit Geld nicht aufzuwiegen.