Soziologie : Die Kleiderordnung des Studierens
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Lebensstil ist nicht frei gewählt Bild: fotolia.com
An jeder Fakultät gibt es ungeschriebene Verhaltensregeln. Psychologen fahren Volvo, BWLer Cabrio. Der tradierte Habitus ihres Fachs beeinflusst sogar, was Studenten essen - und wie sie lieben.
Jetzt klagen alle darüber, wie schwer es Studenten in den neuen Bachelor- und Masterprogrammen haben. Aber angehende Magister alter Prägung hatten es auch nicht leicht - zumindest, wenn man Lorena Jaume-Palasí glauben darf. Die heute 29 Jahre alte Spanierin arbeitete in Berlin am Wissenschaftskolleg, ging danach zum Seminar bei den Philologen, anschließend zu den Politologen und dann zu den Historikern. "Ich dachte, ich werde verrückt", stöhnt die zierliche Frau. "Im Wissenschaftskolleg musste man schick aussehen. Bei den Historikern war weniger Eleganz angesagt, bei den Politologen alternativ-flippige Kleidung. Und im Philologieseminar demonstrierte man, wie unwichtig dieses ganze Gehabe war, indem man sich möglichst nachlässig kleidete."
Umfrage-Ergebnis: Nicht gegen den Strom
Der Kommunikationspsychologe und Karrierecoach Stephan Lermer bestätigt diese Beobachtungen. "Psychologen fahren Volvo, BWLer Cabrio. Philosophen treten eher nur moderat gepflegt auf, weil sie damit vermitteln, dass sie nicht viel Wert auf schnöde Äußerlichkeiten legen", sagt er. JaumePalasí schwört deswegen auf die interdisziplinäre Zwiebeltechnik: Der kluge Student trage am besten ein langärmliges T-Shirt, habe ein Hemd dabei, ein Jackett darüber und auch noch einen Mantel. Das lasse sich dann nach Belieben variieren. Nicht zu empfehlen sei es dagegen, wie ein Jurist bei den Historikern aufzutauchen. "Mit Hemd, Sakko und Timberlands an den Füßen kommt man dort im Seminar nicht gut an", warnt die Unternehmertochter.
Die Herkunft macht´s
Die meisten Studenten, erklärt Lermer, suchten sich das Studium aus, das ihrer eigenen Persönlichkeit entspreche, inhaltlich wie auch vom Lebensstil her. Dieser aber entsteht nach Ansicht vieler Soziologen weder zufällig, noch ist er völlig frei gewählt. Wie jemand der Welt begegnet, in welcher Gesellschaft er sich wohl fühlt, welchen Beruf und welches Studium er wählt, hängt auch mit der sozialen Herkunft zusammen. Denn je nachdem, in welcher Schicht eine Person aufgewachsen ist, verfügt sie nicht nur über unterschiedliche ökonomische Ressourcen, sondern auch über ein bestimmtes soziales und kulturelles Kapital, einen bestimmten Habitus. Geprägt hat diese Begriffe der französische Soziologe Pierre Bourdieu Anfang der achtziger Jahre. Gerade das verinnerlichte kulturelle Kapital in Form von Wissen und Bildung bestimmt laut Bourdieu, was gefällt und angestrebt wird.
"Das für ihn selbst als richtig empfundene Fach findet ein Abiturient dann, wenn der Habitus des Faches mit seinem persönlichen Habitus zusammenpasst", erklärt Markus Schölling den meist unbewusst ablaufenden Mechanismus bei der Studienentscheidung. Der Assistent am sozialpädagogischen Lehrstuhl der Universität Wuppertal hat empirisch untersucht, welcher Habitus an welcher Fakultät vorherrscht, und dabei festgestellt, dass dieser sich keineswegs auf Manieren und Kleidungsstil beschränkt. Den Fachhabitus könne man in allen Lebensbereichen beobachten - vom Lernstil über die Wohnungseinrichtung bis hin zu dem, was Studenten bevorzugt essen oder wie sie Partnerschaften führen.
Ingenieure ziehen sich nicht extra um
Zum Beispiel die Studenten der Ingenieurwissenschaften: Laut Schölling sind sie meist Kinder aus kulturell und ökonomisch niedrigeren gesellschaftlichen Schichten. Aus diesem Milieu kommen auch die meisten Sozialwissenschaftler. Im Gegensatz zu diesen lernen angehende Ingenieure aber vorwiegend zu Hause, selten in der Bibliothek, gerne in Gruppen. Weitere Ergebnisse der Untersuchung: Wenn sie abends ausgehen, ziehen sich Ingenieurstudenten nicht extra um, die Kleidung bleibt einfach - Hemd, Jeans, kein Gürtel. In ihren Wohnungen gibt es selten mehr als das Nötigste, an den Wänden hängen oft Filmplakate. Beim Essen bevorzugen sie das, was leicht zuzubereiten ist und satt macht, typischerweise Gerichte mit Kartoffeln.
Der Lebensstil von Medizinern oder Juristen sieht anders aus. Ihre Möbel sind zwar in der Regel auch einfach, aber hochwertiger und so ausgesucht, dass sie gut zusammenpassen. Ihre Kleidung richten Mediziner stärker als andere Studenten an der ihrer Professoren aus. Ein weiteres Detail aus Schöllings Studie: Die Partnerschaften von Medizin- und Jurastudenten halten besonders lange. Vor allem künftige Juristen verbringen demnach viel Zeit mit ihrem Partner; überdurchschnittlich häufig studiert sie oder er dabei auch Rechtswissenschaften.
„Kulturelles Kapital“