Law Clinics : Jurastudenten machen sich nützlich
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Der Lernaufwand für das erste Staatsexamen ist hoch. Bild: Bergmann, Wonge
Jahrzehntelang war es verboten, doch jetzt dürfen Studenten juristische Beratung leisten. Das krempelt das Jurastudium um. Und kommt armen Menschen zugute.
An Fatima denkt Michael Skupsch noch oft. Vor allem, wenn es mal wieder schlechte Nachrichten aus Afghanistan gibt und Bilder von Anschlägen, Toten und Trümmern. Über Wochen hinweg hat der Student die junge Frau aus Kabul durch ihr deutsches Asylverfahren begleitet und auf ihre Anhörung vorbereitet. Ein lebenswichtiger Termin, bei dem über den weiteren Aufenthalt von Flüchtlingen in Deutschland entschieden wird. Wie er ausgegangen wäre, wird er nie erfahren. Noch vor der Anhörung kehrte Fatima dann aber überraschend zurück in die kriegsgeplagte Heimat, weil ihre Mutter dort erkrankte. Der Traum von einem Leben ohne Angst und Gewalt, geplatzt.
Die Begegnung mit Fatima war Teil des Jurastudiums. „Die menschliche Dimension dieser Arbeit haut mich manchmal um. Viele Schicksale bleiben einem lange in Erinnerung“, sagt Skupsch, der seit zwei Jahren zum Team der studentischen Rechtsberatung an der Justus-Liebig-Universität Gießen gehört. Dort unterstützt er Flüchtlinge wie Fatima dabei, sich im Paragraphendschungel des Migrations- und Flüchtlingsrechts zurechtzufinden. Möglich macht das die sogenannte Refugee Law Clinic, die 2007 gegründet wurde und zu den ersten Einrichtungen dieser Art in Deutschland gehört. Das Konzept ist schnell erklärt: Juristisch geschulte Studenten beraten Flüchtlinge in Rechtsfragen - kostenlos, ohne unnötige Bürokratie und mit Unterstützung von Volljuristen.
Diese Idee stammt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten, wo die sogenannten „Law Clinics“ oder „Legal Clinics“ seit den sechziger Jahren nicht mehr aus der Juristenausbildung wegzudenken sind. Im angelsächsischen Raum sichern sie nicht nur die praktische Ausbildung der Studenten, sondern ermöglichen außerdem finanzschwachen Menschen juristische Unterstützung. Law Clinics gibt es dort schon zu allen möglichen Gebieten: Insolvenzrecht, Familienrecht, Einwanderungsrecht, Strafrecht. So kommt es mitunter sogar vor, dass Studenten Berufungsverfahren für Häftlinge im Todestrakt anleiern.
Es gab viele Vorurteile
Nun gibt es in Deutschland keine Todesstrafe, einkommensschwache Menschen können aber etwa auf Prozesskosten- und Beratungshilfe zählen, und Praxis wird während des Studiums auch durch Praktika und Referendariat vermittelt. Trotzdem sind Law Clinics hierzulande auf dem Vormarsch - obwohl sie bis 2007 sogar verboten waren. Ein Gesetz aus der Zeit des Nationalsozialismus hinderte angehende Juristen daran, schon vor dem Examen beruflich tätig zu werden. Plötzlich war das dann möglich. „Die Reform des Rechtsdienstleistungsgesetzes hat den Weg dafür geebnet“, erklärt Jan-Gero Alexander Hannemann, Jurastudent und Vorsitzender des Bundesverbandes Studentischer Rechtsberatung (BSRB).
Der Verband will die Entwicklung von Law Clinics in Deutschland weiter vorantreiben, die Idee bekannter machen und Vorurteile abbauen. Denn nach der Gesetzesänderung nahmen gerade mal eine Handvoll Law Clinics ihre Arbeit auf, es gab viele Bedenken. „Die deutsche Juristenausbildung ist fast 200 Jahre alt. Da rüttelt man nicht einfach mal so dran“, sagt Hannemann. Vor ein paar Jahren sei es noch oft vorgekommen, dass die Idee von den Universitäten pauschal abgelehnt wurde, nach dem Motto: „gab es noch nie, brauchen wir nicht“. Auch die Rechtsanwaltskammern hatten anfangs Sorge, dass die Studenten ihnen Konkurrenz machen könnten. „Dabei richtet sich das Angebot vor allem an Menschen, die sich keinen Anwalt leisten können“, sagt Hannemann.
Mittlerweile sind die meisten Zweifel aber ausgeräumt. Immer mehr deutsche Hochschulen bieten die Rechtsberatung an, immer mehr Anwälte engagieren sich ehrenamtlich dafür, und immer mehr Studenten brechen aus dem Elfenbeinturm der Lehre aus, um echte Fälle zu bearbeiten. An der Berliner Humboldt-Universität zum Beispiel gibt es Law Clinics für Grund- und Menschenrechte, Verbraucherrecht und Internetrecht. In München konzentriert man sich auf Asylrecht, in Hamburg auf Medienrecht, in Bremen beraten Studenten Gefangene, und in Jena gibt es eine allgemeine Rechtsberatung.