Roboterlabor in Mainz : Viel Arbeit für den traurigen Marvin
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Die Maschine im Griff: Songül Polat steuert Scan-Roboter Marvin. Bild: Katharina Dubno
Die Hochschule Mainz hat ein Roboterlabor eröffnet. Dort fräsen und scannen Maschinen im Dienst der Wissenschaft. Die Resultate könnten den Alltag verändern.
MM-800 sieht ein bisschen traurig aus. Das liegt daran, dass sein Arm so schlapp herabhängt. Die Studenten haben ihm deshalb einen Namen gegeben, der treffender klingt als die trockene Typbezeichnung: Marvin. So heißt der depressive Roboter aus dem Film „Per Anhalter durch die Galaxis“.
Marvin hätte eigentlich Grund zur Freude, hat er doch gerade einen schönen neuen Arbeitsplatz bekommen. Er gehört zum künstlichen Personal des „Robolabs“ der Hochschule Mainz, das kürzlich in Betrieb genommen wurde. Es besteht aus drei Forschungsstätten, von denen jede mit einem speziellen Roboter ausgestattet ist. Marvin steht im Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik, seine beiden Maschinenkollegen sind in Räumen der Fachbereiche Mediendesign und Innenarchitektur im Einsatz. Das Projekt wurde von der Carl-Zeiss-Stiftung mit 600.000 Euro gefördert.
Die Roboter erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Mit dem MM-800 können die Wissenschaftler beispielsweise digitale Abbilder von Objekten erstellen. Zurzeit erfasst er die Heckklappe eines VW-Käfers. In der Halle des Hochschulgebäudes rollt Marvin langsam durch den Raum. Wer eine selbständige, gar eigenwillige Maschine nach Art des kleinen Star-Wars-Helden R2D2 erwartet, wird enttäuscht sein. Die Wege des mehr als 250.000 Euro teuren Roboters sind genau programmiert, und er wird ständig überwacht. „Die Kameras an der Decke tracken Marvin“, sagt Professor Frank Boochs, der mit dem MM-800 arbeitet. In der Industrie dienten Roboter wie dieser dazu, Fertigungsfehler aufzuspüren, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Songül Polat. „Ein digitales Modell des Bauteils wird mit der Vorgabe verglichen, so werden Mängel erkannt.“ Deshalb muss jede noch so kleine Bewegung stimmen. „Es geht um Submillimeter“, erläutert Boochs.
Vor allem für Forschung und Lehre
Marvins Roboterarm ist nun in der richtigen Position. Mit einem Streifenlichtscanner beginnt die Maschine, die Heckklappe abzubilden. Während der Roboter das Bauteil abtastet, erscheint auf einem Bildschirm dessen dreidimensionales Abbild. Marvin fährt verschiedene Lagen an. Nach jedem Scanvorgang ähnelt die digitale Illustration, die sogenannte Punktwolke, mehr dem Original.
An der Hochschule wird der Roboter vor allem in Forschung und Lehre eingesetzt. Noch in diesem Jahr soll ein gemeinsames Projekt mit dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz beginnen. Mehrere Figuren auf Keramiktellern sollen für das Museum digitalisiert werden, berichtet Polat. Die Relieffiguren sollen nach dem Scan in einer Datenbank gespeichert werden, in der sie miteinander verglichen werden können.
Nichts weiter als „ein sehr starker Arm“
Die Innenarchitekten haben sich für ihren Roboter keinen Hollywood-Namen ausgesucht – er ist und bleibt KR 60 HA. Der gewaltige Industrieroboter ist in einen Raum gesperrt, dessen Eingang sich durch ein Eisengitter schließen lässt. Professor Klaus Teltenkötter bedient die Maschine gemeinsam mit seinem Assistenten Sascha Urban. Aus Holz, Polyurethan, Plexiglas und Stein fräst der KR 60 HA Modelle, zirka 200.000 Euro hat er gekostet. „In der Testphase war der Roboter eine große Baustelle“, berichtet Teltenkötter. „Mittlerweile arbeitet er mit einer hohen Genauigkeit.“
Eine Idee in ein Modell umzuwandeln dauere lange und sei mit viel Arbeit verbunden, sagt der Professor. Vor kurzem haben die Wissenschaftler eine Jupiterstatue nachgebildet, deren Original im Landesmuseum Mainz ausgestellt ist. Erst musste das Modell in ein Simulationsprogramm übertragen werden, dann wurde der Roboter programmiert.
Für Teltenkötter lautet ist die zentrale Frage: „Wie bekommen wir das Computermodell in die Realität?“ Denn bevor die Apparatur mit dem Fräsen beginnt, muss vorgegeben werden, wie ein Objekt bearbeitet werden soll. Urban gibt ein Beispiel: „Manchmal muss der Roboter erst mal die Oberfläche Schritt für Schritt abschrubben.“ Um die Maschine zu bedienen, brauche es ein gutes Gespür für Räume und Werkstoffe, sagt Teltenkötter. Der Roboter sei eben nur „ein sehr starker Arm“.
In China wurden schon Häuser gedruckt
Nach Ansicht des Ingenieurs werden sich in den nächsten Jahren die Formvorstellungen der Menschen grundlegend ändern. Künftig würden weniger Gebäude Ecken aufweisen, mehr Häuser würden aus runden Formen bestehen, so seine Prognose. Sogenannte additive Fertigungstechniken, Prozesse, bei denen Materialien schichtweise aufgetragen werden, würden diesen Wandel ermöglichen. Manche 3D-Drucker nutzen dieses Verfahren schon. In China gebe es Häuser, die gedruckt worden seien, sagt Teltenkötter. „Unser Ziel ist es, komplexe Raumstrukturen baubar und erlebbar zu machen.“
Institutsleiter Boochs wünscht sich ein funktionierendes Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine. „Eine Aufgabe könnte es sein, einen Roboter als Begleiter im häuslichen Alltag zu entwickeln.“ Boochs stellt sich die Frage: „Wie kommuniziert dann der Roboter mit dem Menschen?“ Dieses Problem zu lösen sei eine künftige Aufgabe der Wissenschaftler.
Die Arbeit des „Robolabs“ stoße auch in der Industrie auf Interesse, berichten beide Professoren. Der Fachbereich Innenarchitektur wurde schon von einem Mainzer Unternehmen mit Glas beliefert. Aus dem Werkstoff sollen verschiedene Modelle entstehen, Vorgaben gibt es keine. „Das Robolab bietet einen guten Rahmen für Forschung und Entwicklung über Drittmittelprojekte“, sagt Boochs, der ein gemeinsames Vorhaben mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung anstrebt. Daran haben allerdings auch Kollegen aus anderen Hochschulen großes Interesse.
Im Labor der Messtechniker hat Marvin die Digitalisierung der Heckklappe abgeschlossen. Der Roboter fährt zurück in seine Ausgangsposition. Songül Polat findet, dass er seinem missgelaunten Vorbild jetzt gar nicht mehr so ähnlich sieht: „Mittlerweile ist er glücklich.“