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Digitalisierung in der Schule : Wenn Lehrer mit der Internetverbindung kämpfen

Im Umgang mit dem Tablet oft fitter als die Lehrer: die heutige Schülergeneration. Bild: dpa

Der digitale Wandel soll nun auch die Schulen erfassen. Ohne die Lehrer gelingt das nicht. Auf sie kommt viel zu. Nicht alle haben Lust darauf. Und so mancher fürchtet, sich zu blamieren.

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          Nina Toller träumt von einer kleinen IT-Abteilung an der Schule. „Man darf nicht unterschätzen, wie lange es dauern kann, sich mit der Technik zu beschäftigen“, sagt die Lehrerin für Englisch, Latein und Geschichte am Franz-Haniel-Gymnasium in Duisburg. Dabei sei an ihrer Schule die Ausstattung vergleichsweise gut; es gibt Smartboards und eine Internetleitung. „Ich kann einen Hotspot aufbauen. Der funktioniert auch meistens, ist aber manchmal instabil. Und ich muss mein eigenes Gerät mitbringen, sonst wäre kein W-Lan möglich.“ Toller ist aber vor allem deshalb öfter mit technischen Schwierigkeiten konfrontiert als viele andere Lehrer, weil sie regelmäßig mit Hilfe von Internet und Computer, vor allem den Smartphones der Schüler, unterrichtet. Damit gehört sie zu einer kleinen, aber wachsenden Minderheit in Deutschland.

          Lisa Becker
          Redakteurin in der Wirtschaft

          Leicht wird und wurde ihr das nicht gemacht. Denn sie muss nicht nur von einer besseren technischen Ausstattung und Unterstützung träumen, was es ohnehin nur an wenigen Vorzeigeschulen gibt. Ihr wurde zudem in der Ausbildung nicht vermittelt, wie man mit Computer und Internet unterrichtet. Dabei hat sie erst vor wenigen Jahren die Hochschule verlassen. „Das Digitale hat eine ganz, ganz geringe Rolle gespielt“, erinnert sie sich. Dass sie dennoch oft mit den neuen Medien unterrichtet, beruht auf Eigeninitiative. „Das Digitale liegt mir irgendwie.“ Vor allem ist sie überzeugt, dass man so die Lernbereitschaft der Schüler steigern kann.

          Unter den wenigen Lehrern, die bisher auch in der digitalen Welt kompetent unterrichten können, sind viele, die es wie Toller trotz mangelnder Ausstattung und Unterstützung tun - weil sie von den Vorteilen überzeugt sind. Dazu zählen sie neben der höheren Motivation der Schüler das Erlernen eines kompetenten Umgangs mit den neuen Medien und weiterer, auch für das spätere Berufsleben wichtiger Fähigkeiten wie Präsentieren, Produzieren, Kommunizieren und das Arbeiten in der Gruppe.

          „Jeder Tag, den wir gewinnen, ist ein echter Gewinn“

          Die Zeit drängt; so sieht es jedenfalls die Wirtschaft. „Von der Grundschule bis zum Eintritt in den Arbeitsmarkt vergehen zwanzig Jahre; doch wir brauchen das digitale Knowhow schon heute“, gibt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Bitkom, zu bedenken. So fehlten bereits 51.000 Informatiker. „Jeder Tag, den wir gewinnen, ist ein echter Gewinn, auch für die Wirtschaft.“ Ein verstärktes Lernen in der digitalen Welt fordern auch die Bildungspolitiker aus Bund und Ländern; sie bekunden, die digitale Schule nun einen großen Schritt voranbringen zu wollen.

          Ohne die Lehrer wird das nicht gelingen. Doch was ist, wenn ihnen, anders als Junglehrerin Toller, das Digitale nicht einfach so liegt? „Diesen Lehrern wird es schwergemacht“, sagt Rohleder. „Weil Geräte fehlen; und wenn sie da sind, dann funktionieren sie nicht. Und wenn sie funktionieren, dann fehlen gute Lehr- und Lernmaterialien.“ Regelmäßig befragt Bitkom Lehrkräfte zur Digitalisierung der Schule. In einer Umfrage von vor einem Jahr gab knapp die Hälfte an, sie würden gerne öfter digitale Medien einsetzen. Dass sie es nicht täten, liege vor allem an fehlender Technik, Angst vor Technikversagen und der Sorge vor einem zu großen Aufwand. Eine große Mehrheit beklagte, dass nicht ausreichend digitale Lehrmaterialien zur Verfügung stünden und jemand fehle, der sich um die Technik kümmere und bei Problemen helfe.

          Gleichzeitig sahen die Lehrkräfte große Vorteile in dem Einsatz der digitalen Medien. Schüler sind motivierter - dieser Aussage stimmten fast alle (96 Prozent) zu. Drei Viertel gaben an, es mache ihnen selbst mehr Spaß, mit Computer und Internet zu unterrichten. Dass das Lernen mit Hilfe der neuen Medien nicht schon weiter sei, liege aber nicht nur am Umfeld, sagt Rohleder, sondern auch an den Lehrern selbst. „Man weiß aus Untersuchungen, dass etwa jeder vierte den Einsatz neuer Medien kategorisch ablehnt. Diese Lehrer würden am liebsten alles so lassen, wie es ist.“

          Angst, sich vor der Klasse zu blamieren

          Viele Lehrer hätten Angst, sich vor der Klasse zu blamieren, wenn sie mit Hard- und Software nicht perfekt umgehen könnten, berichtet Rohleder. Lehrer müssten ständig den Eindruck vermitteln, alles zu können, glaubt Toller. Die Pädagogin hält dieses Lehrerbild für nicht mehr zeitgemäß. „Beim Umgang mit den digitalen Medien können auch die Schüler den Lehrern mal etwas zeigen. Das bedeutet weder einen Kontroll- noch einen Autoritätsverlust, sondern es stärkt die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern und macht die Schüler stolz auf sich selbst.“

          Ein großer Knackpunkt ist die Fortbildung. Die Bitkom-Erhebungen zeigen ein geteiltes Bild: Knapp 50 Prozent der Lehrer haben in den vergangenen drei Jahren an einer Weiterbildung zum digitalen Lernen teilgenommen und ebenso viele nicht. Rohleder sieht einen enormen Weiterbildungsbedarf, genauso wie viele andere Fachleute - und die Lehrer selbst. In einer aktuellen Erhebung der wirtschaftsnahen Initiative D21 haben 62 Prozent angegeben, ihre mangelnden IT- und Digitalkenntnisse seien eine wichtige Hürde für den Einsatz der digitalen Medien.

          Was es nicht einfacher macht: Etwa 40 Prozent der Lehrer sind älter als 50 Jahre. „Sie auf der Schlussstrecke des Berufslebens für eine solch tiefgreifende Umstellung zu gewinnen ist schwierig, angesichts der stark fortschreitenden Digitalisierung aber dringend notwendig“, sagt Rohleder. Doch auch die jungen Lehrer bringen die Kompetenzen in der Regel nicht mit. „Selbst wer mit den digitalen Medien aufgewachsen ist, kennt sich noch lange nicht wirklich mit ihnen aus“, beobachtet Toller. Referendare berichten ihr durchgängig, dass sie in der Lehrerausbildung immer noch nichts oder wenig über das Unterrichten in der digitalen Welt gelernt hätten. Allerdings ändert sich das gerade. So sollen die nächsten Referendare in Nordrhein-Westfalen einen Unterrichtsbesuch der Fachleiter mit digitalen Medien bestreiten. Auch in der Lehrerausbildung der anderen Bundesländer gibt es solche Ansätze.

          „Die Beschäftigung mit der neuen Technik macht jung“

          Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat zudem im Dezember ihre Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ vorgelegt. Ein wichtiger Punkt: Die Länder wollen Aus- und Fortbildungsprogramme ausarbeiten. Dabei ist klar: Der Einsatz der digitalen Medien ist eine Querschnittsaufgabe und muss von allen Lehrkräften erlernt werden. Wenn die Länder die Lehrer aus- und fortbilden und zudem pädagogische Konzepte entwickeln, dann will der Bund die Ausstattung finanzieren. Das hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) den Ländern in einem „Digitalpakt“ vorgeschlagen. Die Medienpädagogin Birgit Eickelmann von der Uni Paderborn erhofft sich davon einen großen Schub für das digitale Lernen: Dann lohne es sich endlich, inhaltliche Konzepte zu entwickeln; und die Skepsis der Lehrer, die ohnehin schon zurückgegangen sei, werde weiter sinken.

          Bernhard Wagner ist inzwischen gar nicht mehr skeptisch; ein untypischer Fall ist er außerdem. Der Mathematik- und Physiklehrer an der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Duisburg ist auf der Schlussstrecke seines Berufslebens und wollte eigentlich demnächst in Rente gehen. Das will er nun aber verschieben. „Die Beschäftigung mit der neuen Technik macht jung“, sagt er. „Ich lerne selbst noch mal etwas.“ Wagner „codet“ zum Beispiel mit seinen Schülern: Sie programmieren. Dabei lernten Schüler, strukturiert zu denken, Probleme wirklich zu lösen, Teamfähigkeit und Durchhaltevermögen. „Nach der ersten Stunde fragten die Schüler, ob wir das öfter machen können. Das war Begeisterung pur.“ So viel Enthusiasmus sei er gar nicht gewöhnt gewesen, bekennt Wagner. Zunächst nahm er an der „hour of code“ teil, die von der amerikanischen gemeinnützigen Organisation code.org veranstaltet wird. Nun programmiert er, unterstützt von „Code your life“, einer Initiative von Microsoft.

          Nina Toller kann nicht coden, würde es aber gerne lernen. Es wäre schon gut, wenn jeder Lehrer wüsste, welche Technik hinter den neuen Medien stehe, meint sie. „Gäbe es eine gute Fortbildung, würde ich sofort hingehen.“ Doch machen sich eher technikkundige Lehrer auf den Weg in die digitale Welt? In einer Bitkom-Umfrage vom Frühjahr 2014 bezeichnete sich etwa jeder sechste Lehrer als Technikfan; die meisten (25 Prozent) waren unter den Lehrern, die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik unterrichten und unter den 41- bis 50-Jährigen. Toller beobachtet indes keinen Zusammenhang zwischen Technikaffinität und einer Neigung zum digitalen Unterrichten. Das ist plausibel, denn auch beim Einsatz der neuen Medien geht es vor allem um wirksames Lernen. Nicht umsonst betonen Fachleute den Grundsatz „Pädagogik vor der Technik“. „Auch in Latein, das als verstaubt gilt, kann man tollen Unterricht mit digitalen Medien machen“, sagt Toller. Was es vor allem brauche, sei die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen.

          Eine andere Art des Unterrichtens und Lernens - das dürfte dann auch die größte Herausforderung für die Lehrkräfte sein. Die neue Technik nur in traditionelle Lernformen zu integrieren, bringe keine Lernfortschritte, erklärt Pädagogikprofessorin Eickelmann. Didaktiker erwarten einen grundlegenden Wandel der Lehrerrolle, von einem frontal unterrichtenden Wissensvermittler hin zu einem Betreuer, der den Schülern zur Seite steht - vom lehrerzentrierten zum schülerzentrierten Unterrichten.

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