Auszeiten im Studium : Lücken und Lügen im Lebenslauf
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Aufbruch in die Auszeit: Wie viel Pause ist vertretbar während des Studiums? Bild: mauritius images
Können Auszeiten und Unterbrechungen im Studium eine Bewerbung ruinieren? Absolventen dürfen entspannt bleiben – bis auf wenige Ausnahmen.
Als Oliver Blättler seinen Masterabschluss in Verfahrenstechnik der renommierten RWTH Aachen in der Tasche hatte, erfüllte er sich einen lang gehegten Wunsch: Der 26-Jährige reiste einige Monate lang auf dem Motorrad durch Asien. Von Thailand aus führte ihn die Reise über Vietnam und Kambodscha nach Laos, Indonesien und Singapur. „Da ich während des Studiums kein Auslandssemester gemacht hatte, war es mir wichtig, nach dem Masterabschluss andere Länder und Kulturen kennenzulernen“, erzählt Blättler. Monatelang quer durch Asien oder einen anderen Kontinent reisen – solch ein Abenteuer haben viele junge Menschen auf der Wunschliste. Ob nach dem Abitur, vor dem Start des Masterstudiums oder während eines Urlaubssemesters: Einmal raus aus dem Lernstress und eine lange Auszeit nehmen.
Das ist heutzutage bei Studenten nichts Ungewöhnliches, sorgt aber für eine wochen- oder gar monatelange Lücke im Lebenslauf. Das macht die perfekte Chronologie des Lebenslaufes zunichte – und senkt die Chance, den Traumjob zu ergattern, fürchten viele Absolventen. Aber falsch gedacht: Personalabteilungen prüfen Lücken im Lebenslauf zwar, aber Lücken sind alles andere als verpönt. Im Gegenteil, sie sind in vielen Unternehmen sogar erwünscht. „Auch wenn Bewerber keinen geradlinigen Lebenslauf haben, macht sie das dennoch für viele Unternehmen interessant“, sagt Bernd Slaghuis, Karriereberater in Köln. Allerdings wollen Personalchefs wissen, ob es für Lücken eine plausible Erklärung gibt. Dafür dürfen Bewerber ruhig in die Trickkiste greifen – aber nicht zu tief.
Kaum ein Bewerber hat keine Zeiträume im Lebenslauf stehen, in denen er weder gearbeitet noch studiert hat: 70 Prozent der Berufstätigen haben Lücken unterschiedlicher Dauer – mal bis zu drei Monate, mal bis zu einem Jahr oder länger. Das zeigt eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Dresden und der Hochschule Osnabrück aus dem vergangenen Jahr. Dafür haben die Autoren mehr als 2000 Personen zu ihren Lücken im Lebenslauf und deren Ursachen befragt. „Personalchefs wissen, dass das akademische Pensum straff ist“, sagt Slaghuis. „Wer während des Studiums, davor oder danach etwas von der Welt sehen will, ist dazu gezwungen, sich eine Auszeit zu nehmen. Und er darf das auch.“ Neben Reisen können auch Krankheit, ehrenamtlicher Einsatz, Studienwechsel, Elternzeit oder Pflege von Angehörigen dazu führen, dass längere Zeiträume im Lebenslauf stehen, in denen Bewerber weder studiert noch gearbeitet haben.
Berufliche Orientierungsphasen sind nicht schlimm
Die Mehrheit der Lücken lässt sich laut Studie mit unfreiwilliger oder freiwilliger Arbeitslosigkeit erklären, zum Beispiel bedingt durch eine berufliche Orientierungsphase. Auch Wartezeiten, die etwa in langen Bewerbungsprozessen auftreten, sorgen für Lücken. „Gerade Bewerbungsphasen können sich über Monate ziehen, wenn mehrere Auswahlrunden und Assessment Center anstehen“, sagt Oliver Meywirth, Geschäftsführer von Capitalheads, einem Tochterunternehmen der Personalberatung Kienbaum. Es hat sich auf die Vermittlung von Nachwuchskräften spezialisiert. „Es ist völlig legitim, wenn Absolventen nicht den erstbesten Job nehmen, nur damit sie keine Lücke im Lebenslauf haben.“
Auch wenn eine Lücke an sich kein K.-o.-Kriterium mehr ist, so kann doch die Dauer der Lücke eines sein. Ein paar Wochen stellen kein Problem dar – solch eine Lücke fällt vielen Unternehmen noch nicht mal auf, da im Lebenslauf nur Monatsangaben stehen. Selbst mehrere Monate sind vertretbar, zum Beispiel aufgrund einer langen Reise oder Jobsuche. „Kritisch wird es bei mehr als einem Jahr“, sagt Karriere-Coach Slaghuis. „Dann fragen sich Personaler nicht nur, wieso jemand so lange auf Jobsuche ist, sondern auch, ob sich der Bewerber noch in feste Arbeitsstrukturen integrieren lässt.“
Die Angst, aus dem Rennen um den Wunschjob zu fliegen, verleitet manch einen Absolventen dazu, beim Lebenslauf zu tricksen. Etwas hinzudichten oder weglassen, damit die Lücke weniger nach Urlaub und mehr nach Bildungsreise klingt – so wird aus dem Surfkurs auf Bali eine Fortbildung über nachhaltiges Wassermanagement. Andere Möglichkeit: Im Lebenslauf zwischen den Angaben zum Studium, zur Job-Expertise und zu persönlichen Daten hin und her springen – in der Hoffnung, dass nicht auffällt, dass man zwischendurch eine Auszeit genommen hat. Es sind aber alles keine gute Ideen. Wenn sich Personaler nach den Inhalten einer Fortbildung erkundigen oder Belege wie Studienbescheinigungen, Arbeitgeberzeugnisse oder Teilnehmerzertifikate sehen möchten, fällt jede Täuschung auf. „Damit machen Bewerber den Personalchef nur skeptisch und rücken sich in ein schlechtes Licht“, sagt Oliver Meywirth. „Bewerber sollten Lücken nicht als zu kaschierendes Manko, sondern als etwas Positives sehen, das sie von den Mitbewerbern abhebt.“ Deshalb sollten Bewerber die Karten auf den Tisch legen: „Wer punkten will, macht seine Lücken auch als solche im Lebenslauf kenntlich.“
Die Lücke von sich aus ansprechen
Ohne zu lügen kann man dabei aber ruhig an der Wortwahl feilen. Aus monatelanger Arbeitslosigkeit wird eine Zeit der Arbeitssuche oder der Berufsorientierung. Im Vorstellungsgespräch gilt es dann, offen zu kommunizieren. „Am geschicktesten ist es, wenn Bewerber im Gespräch die Lücke von sich aus ansprechen“, sagt Jobcoach Slaghuis. Damit komme man möglichen Fragen des Personalers zur Lücke zuvor – und kann ihn davon überzeugen, was man in der Zeit gelernt hat und wie man das Gelernte im Unternehmen einbringen kann. „Das wirkt selbstbewusst. Schließlich muss sich niemand für seinen Lebenslauf schämen“, sagt Slaghuis.
Auch Martina Niemann, „Vice President Human Resources“ bei der Lufthansa, befürwortet es, wenn Bewerber erzählen können, wie es zu Lücken im Lebenslauf kam – und was sie daraus gelernt haben. „Für mich soll ein Lebenslauf immer eine nachvollziehbare Geschichte über einen Menschen erzählen“, sagt sie. Niemann möchte verstehen, was jemand gelernt hat, wo er sich engagiert, wofür er sich interessiert – und wieso und wie das alles zum Unternehmen und der ausgeschriebenen Stelle passt. „Gerade Lücken zeigen uns, was jemanden antreibt und welche Fähigkeit ein Bewerber neben dem Studium mitbringt“, sagt sie.
Oliver Blättler, der auf dem Motorrad durch Asien reiste, hat auch schon festgestellt, dass Personaler sein Asien-Abenteuer interessant finden. Er ist vor drei Monaten zurückgekehrt und seither auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Vor kurzem hat er am Bewerbertag eines Chemiekonzerns teilgenommen und mehrere Kurzinterviews mit Personalverantwortlichen geführt. Zwar zählte für sie seine Reise nicht als Auslandserfahrung, da Blättler in der Zeit kein Praktikum absolviert hat – aber trotzdem hat er nur positive Rückmeldungen bekommen: „Ich wurde zum Beispiel gefragt, was mich besonders macht“, erzählt der 26-Jährige. „Meine Antwort, dass ich mich auf der Reise selbst zu einem Motorradmechaniker weitergebildet habe, fand der Personaler super.“ Vertreter des Konzerns möchten gerne weitere Gespräche mit ihm führen – aber Blättler hat abgelehnt. Er möchte in Düsseldorf oder Köln arbeiten, aber für diese Region war nichts Passendes im Angebot. Er sucht weiter – und wird seinen Motorrad-Trip durch Asien sicher nicht aus dem Lebenslauf streichen.