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Ansturm aufs Studium : Kaum noch Nachwuchs für die Werkbänke

Deutschland ist berühmt für seine duale Ausbilung. Aber nur noch wenige wollen sie machen. Bild: dpa

Erzieherin mit Bachelor? Altenpfleger mit Master? Gehen in 15 Jahren fast alle Schulabgänger studieren? Die Bertelsmann Stiftung wagt eine Prognose - mit aufrüttelnden Ergebnissen.

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          Diese Zahlen dürften die Unternehmenswelt aufhorchen lassen: Nur noch 400.000 junge Menschen werden vermutlich im Jahr 2030 eine betriebliche Ausbildung beginnen - 80.000 weniger als heute. Schon jetzt gibt es Erzieherinnen, Pfleger, Physiotherapeuten etc. mit Bachelor, künftig werden sie immer mehr werden - jedenfalls dann, wenn sich der Trend zum Studium aus den vergangenen zehn Jahren ungebrochen fortsetzt. Das ist das Ergebnis einer Studie der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

          Nadine Bös
          Redakteurin in der Wirtschaft, zuständig für „Beruf und Chance“.

          Das Stichwort lautet „Akademisierung“ und es bereitet Ausbildungsbetrieben schon heute großes Kopfzerbrechen. Schon vor zwei Jahren begannen erstmals mehr junge Menschen ein Studium als eine Berufsausbildung. Den stärksten Zulauf verzeichnen voraussichtlich diejenigen Studiengänge, die stark an der Praxis orientiert sind. Seit 1995 stieg der Anteil der Fachhochschüler an allen Studienanfängern von 26 auf 39 Prozent. Bis zum Jahr 2030 rechnet die Studie mit einem Anstieg auf mehr als 43 Prozent. Auch Angebot und Nachfrage nach dualen Studiengängen wachsen demnach. Eine noch größere Herausforderung für die klassische Berufsausbildung ist demnach aber der demografische Wandel. Wegen der geburtenschwachen Jahrgänge blieben schon im vergangenen Jahr 40.000 Lehrstellen unbesetzt.

          Bachelor- und Ausbildungsabsolventen jagen sich die Stellen ab

          In drei Szenarien hat die Stiftung nun ausrechnen lassen, wie sich die Bedeutung der Berufsausbildung in den kommenden 15 Jahren weiter verringern wird. Bleibt die Präferenz der jungen Menschen für ein akademisches Studium so, wie sie heute ist, werden dann 17 Prozent weniger als heute eine neue Lehre antreten. Falls sich der Ansturm auf die Hochschulen sogar noch verstärkt, wären es rund 21 Prozent weniger als im Jahr 2013. Und selbst falls es gelingt, die duale Berufsausbildung wieder attraktiver werden zu lassen, würde die Schere zwischen Studien- und Ausbildungsanfängern bis 2030 weiter auseinandergehen. Und das betrachten die Fachleute mit Sorge: „Ein weiterer Rückgang der Azubi-Zahlen könnte in vielen Branchen einen Fachkräftemangel beschleunigen oder auslösen, weil sich zugleich geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand verabschieden“, mahnt die Stiftung.

          Das sieht der Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ganz ähnlich: „Der Azubi-Mangel von heute ist der Fachkräftemangel von morgen“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks zu FAZ.NET. Auch die aktuelle Zuwanderung von Flüchtlingen ändere an dieser Herausforderung zunächst nichts.

          Schon heute jagen sich Ausbildungs- und Bachelor-Absolventen gegenseitig die Stellen ab. Clemens Wieland, einer der Autoren der Bertelsmann-Studie, warb für eine stärkere Verzahnung und Durchlässigkeit der Bildungswege: „Bei der Berufsausbildung und beim Studium sollte es nicht mehr so oft ein Entweder-oder sein, sondern immer häufiger ein Sowohl-als-auch.“ Es könne etwa eine zweijährige Kombination aus Studium und Ausbildung eingeführt werden, an deren Ende drei Optionen offenstehen: Fortführung der Berufsausbildung, des Studiums, oder Aufnahme eines dualen Studiums. Natürlich seien nicht alle heutigen Ausbildungsberufe dafür geeignet, so Wieland. „Im kaufmännischen und technischen Bereich gibt es mehr Überschneidungen mit Studiengängen als etwa in traditionellen Handwerksberufen.“ Einen Fleischer mit Bachelor oder dualem Studienabschluss zu fordern - so weit will er nicht gehen.

          „Der Druck auf die ausbildenden Unternehmen kommt von zwei Seiten“, so Wieland. „Es gibt insgesamt weniger Schulabgänger und immer mehr von ihnen entscheiden sich für ein Studium.“ Deshalb müssten für die Ausbildung nun auch diejenigen Jugendlichen in den Blick genommen werden, die heute außen vor bleiben, so Wieland. Die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem ist seit 2005 zwar um rund 40 Prozent zurückgegangen. Aber noch immer befinden sich mehr als 250.000 junge Menschen in Übergangsmaßnahmen, die nicht zu einem Berufsabschluss führen. „Hauptschüler, Menschen mit Behinderung, Zuwanderer, Flüchtlinge - Betriebe müssen sich für diese Gruppen stärker öffnen. Und der Staat muss sie dabei unterstützen.“ Denn klar sei auch: Nicht von jedem kleinen Handwerksbetrieb kann man verlangen, massive schulische Defizite auszugleichen.

          Die Bertelsmann Stiftung glaubt nicht, dass sich der Trend zur Akademisierung noch aufhalten lässt .Achim Dercks vom DIHK sieht das ein wenig anders: „Wir müssen junge Leute möglichst früh über die vielfältigen Karriereperspektiven in der beruflichen Bildung informieren“, sagt er. Dazu sei mehr Berufsorientierung an den Schulen nötig - insbesondere an Gymnasien. „Gleichzeitig müssen wir aber auch mit Vorurteilen aufräumen. Denn es ist schlicht nicht richtig, dass Akademiker per se mehr verdienen und stets sicherere Arbeitsplätze haben als beruflich Gebildete.“ Junge Menschen, deren Eltern, aber auch Lehrer sollten wissen, dass sich ein beruflicher Bildungsweg lohne und nicht nur ein Hochschulstudium in ein erfülltes Berufsleben führe.

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