Berufliche Deformation : Warum hast du mich nicht gewarnt?
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Nüchtern durch den Alltag
Meine Freundin und Mutter unserer drei Kinder durchdringt Probleme sehr schnell. Sie neigt nicht zum Überdramatisieren, steckt die Emotionen eher zurück. Ich begrüße all diese Eigenschaften, sie machen auch mir das Leben angenehmer. Sie ist Physikerin und arbeitet als quantitative Analystin in der Finanzbranche. Physiker sind gewohnt, in Rechenmodellen zu denken. Das kann auch ärgerlich sein – mir kommt es aber entgegen. Manch ein Wirtschaftswissenschaftler hat es schon leidvoll erfahren: Die Mühen eines ganzen Semesters waren vergebens, wenn plötzlich zum Schluss ein Physiker auftauchte und ohne große Vorbereitung die besten Noten eingesammelt hat. Auch die Kollegen meiner Frau sind vor allem daran interessiert, ihre Algorithmen zu verfeinern. So wie sie im Beruf komplexe Sachverhalte mit festen Regeln in Verbindung bringt, so tut sie es im Alltag. Überflüssigen Ballast wirft sie über Bord. In den Kinderwagenburgen, also zum Beispiel in Familiencafés, wo den ganzen Tag über von den Kindern erzählt wird, fühlt sie sich nicht wohl. Weil sie sich nicht so von Gefühlen leiten lässt, erscheint ihr manches unnötig, was in dieser Welt ausgetauscht wird. Eine Doktorin der Physik sollte man sich nicht als Emotionsbündel vorstellen. Sie ist an Problemlösungen interessiert, das ist allerdings keine Prägung durch das Physikstudium, sondern die zufällige Wahl des richtigen Fachs und Berufs. Sie hat etwas gefunden, das ihrem Charakter entgegenkommt.
Ein Banker über seine Freundin, eine Physikerin, die in der Finanzbranche arbeitet
Wieso musst du Urlaub einreichen?
Bei dieser Vorgeschichte stand die Karriere meiner Frau eigentlich längst fest. Jedenfalls hat es keinen überrascht, dass sie diesen beruflichen Pfad einschlug: Nachhilfelehrerin in der Jugend, Au-pair-Mädchen nach dem Abitur – schließlich wurde sie Lehrerin. Erziehung spielte schon immer eine große Rolle in ihrem Leben. Dass das im Alltag nicht nervt, liegt daran, dass sie ihre Fähigkeiten nicht anderen aufzwingt und die berufliche Rolle ablegt. Trotzdem hinterlässt der Beruf seine Spuren: Sie redet auch in Gesprächen in der Öffentlichkeit ziemlich laut. Besonders gern über Themen wie Schule, Eltern und Kinder. Es ist halt ein Beruf, der permanent Geschichten über Menschen zutage fördert. Umgekehrt macht ihr Lautstärke überhaupt nichts aus. Egal, wie viele Kinder um sie herumtänzeln: Es fällt ihr nicht schwer, auch große Mengen von ihnen zu managen. Sie ist ein Morgenmensch, abends darf man nichts Berufliches von ihr verlangen. Was in der Partnerschaft zu Konflikten führen kann, ist das völlige Unverständnis dafür, dass man außerhalb des Schuldienstes Urlaub einreichen und sich dafür mit Kollegen verständigen muss. Denn für die Lehrerin ist Urlaub dann, wenn Ferien sind. Das führt auch immer wieder zu Anfeindungen von Mitmenschen, die die große Zahl von Ferienwochen für schlichtweg ungerecht halten. In den ersten Jahren des Berufslebens hat sie das unter Rechtfertigungsdruck gesetzt. Inzwischen lautet ihre pauschale Antwort: Wenn euch Urlaub so wichtig ist, hättet ihr doch auch Lehrer werden können!
Ein Architekt über seine Frau, eine Grundschullehrerin.
Fakten und nicht so lange Sätze
Wer Bedienungsanleitungen schreibt, braucht eine Fähigkeit: Er muss etwas scheinbar sehr Komplexes sortieren und nach Möglichkeit ganz einfach darstellen. Das gelingt nicht allen, wie man an den vielen Anleitungen aus Möbel- oder Heimwerkergeschäften ablesen kann. Das Ziel ist es aber auch für die Projektmanagement-Software, die der Arbeitgeber meines Mannes herstellt: komplexes Produkt, möglichst einfache Darstellung. Das zu beherrschen, kann auch im Alltag hilfreich sein, wenn es um Konflikte mit Behörden geht oder darum, mir für mein Arbeitsumfeld mal einen Rat zu geben. „Konzentrier dich auf Fakten und schreib nicht so lange Sätze“, sagt er dann gern. „Das verwäscht die Message.“ Man merkt, dass er im Beruf gewohnt ist, ohne Umschweife zum Punkt zu kommen. Tatsächlich führt die schlanke Art zu schreiben auch in den meisten Fällen zu den gewünschten Ergebnissen. Aber natürlich liegt hier auch die Basis einer Deformation. Gerade wenn er im Schaffensmodus ist, ist er darauf gepolt, Konfliktfälle schnell aufzulösen. Ich will etwas erklären und setze an, doch er glaubt schon zu wissen, wie sich der Sachverhalt aufdröseln lässt. Dann ist er noch nicht bereit für abweichende Gedanken. Aber die Deformation ist nicht dauerhaft: Am Wochenende, wenn er nicht im Schaffensmodus ist, öffnet er sich mehr für die unerwarteten Gedankengänge. Aber er fasst sie am Ende in einfacher Sprache und in schlanken Beschreibungen wieder zusammen.
Eine Bewegungstherapeutin über ihren Mann, einen Technischen Redakteur
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