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Pausen im Büroalltag : Kleine Fluchten, große Erholung

In der Ruhe liegt die Kraft: Yoga-Figuren wie der „Baum“ versprechen Entspannung im Trubel des Alltags. Bild: (c) Steve Prezant/Corbis

Einfach mal ein paar Minuten Pause zu machen, einen Gang herunterschalten, daran scheitern im hektischen Berufsalltag viele. Dabei zahlt sich diese Auszeit nachher aus. Auch wenn das nicht jeder Vorgesetzte erkennt.

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          Eigentlich“, sagt Julia Scharnhorst und lacht, „ist die Raucherpause perfekt.“ Eine kurze Auszeit an der frischen Luft, eine Unterbrechung der Arbeit, ein Plausch mit Kollegen. „Wenn nur das Rauchen nicht wäre. Ideal wäre es, stattdessen zum Beispiel einen Apfel zu essen.“ Die psychologische Psychotherapeutin aus dem norddeutschen Wedel berät seit zehn Jahren Unternehmen darin, wie sich Stress vermeiden lässt. Regelmäßige kurze Pausen gehören dazu. Ärgerlicherweise halten sich wenige daran. „Die Pausenkultur nimmt ab. Das sehe ich bei den Unternehmen, bei denen ich unterwegs bin. Das geht nicht nur in Industrieunternehmen so, sondern auch in der Verwaltung“, bestätigt Diplompsychologin Alexandra Miethner aus Bonn. „Dabei sind regelmäßige Pausen eine Stellschraube in der Burnout-Prophylaxe. Sie sind wichtiger, aber seltener geworden.“

          Ursula Kals
          Redakteurin in der Wirtschaft, zuständig für „Jugend schreibt“.

          Um sich an den kurzzeitigen Zustand des gepflegten Nichtstuns heranzupirschen, hat die Ratgeberliteratur allerlei Begriffe zur Hand: Da geht es um verstärkte Achtsamkeit. Das seltsame, an eine rotierende Waschmaschine erinnernde Kunstwort Entschleunigung macht die Runde. Die Rede ist von Downshifting und davon, Dinge loszulassen. In den Trödel-Modus zu fallen, das können Menschen durchaus, aber nur temporär. Nämlich dann, wenn sie im Urlaub sind, aufs Wellenspiel starren, schon eine Krimiseite zu scrollen erscheint dann zu anstrengend. Kaum aber sind daheim die Koffer ausgepackt, sind auch die guten Vorsätze dahin, untergegangen in der multitaskingbesetzten Alltagsroutine des Abarbeitens. Eine europäische Vergleichsstudie behauptet: Niemand ist so gestresst wie die Deutschen. „Wir leben in einer Beschleunigungsgesellschaft, in der das Gefühl des Gehetztseins zum Dauerzustand geworden ist“, schreibt Ulrich Schnabel in seinem Buch über „Muße. Vom Glück des Nichtstuns“. Dieses Glück ist nicht leicht auffindbar. „Aber wir sind alle keine Maschinen, wo man auf den Knopf drückt, und wir laufen acht, neun Stunden. Der Effekt der Pause ist absolut sinnvoll“, sagt Julia Scharnhorst. Unter anderem aufgrund der „enormen Verdichtung“ in der Arbeitswelt, in der immer mehr leichte Aufgaben entfallen. Die Psychologin hat früher in einer Klinik gearbeitet und ab und an eine halbe Stunde damit verbracht, von ihr geschriebene Berichte zu lochen und abzuheften. „Das war erholsam. Solche anspruchslosen Tätigkeiten schwinden zusehends.“

          Die Fachbereichsleiterin Gesundheitspsychologie im Berufsverband der Deutschen Psychologinnen und Psychologen betont, dass eine kurze Pause reicht: „Der Erholungseffekt in den ersten Minuten ist am größten. Danach kann man sich wieder gut konzentrieren.“ Die Leistungskurve fällt nicht ab. „Wir reden von zwei bis fünf Minuten“, erklärt Trainerin Alexandra Miethner, „diese Zeit ist locker wieder wettgemacht.“ Es helfe, bewusst eine Tasse Kaffee oder Tee zu genießen, in Gedanken ins Wiener Caféhaus zu schweifen oder sich am Duft des Earl Greys zu erfreuen - „da sind wir bei zwei Minuten, aber es macht einen Wahnsinnsunterschied, wenn ich nur durcharbeite. Das hat mit dem verbreiteten Stichwort Achtsamkeit zu tun.“ Ein schlechtes Gewissen sei hier fehl am Arbeitsplatz. „Ich muss mir das erlauben. Der Satz an mich selbst lautet: Ich darf das. Leider fallen diese Dinge oft völlig unter den Tisch, wenn wir enge Zeitpläne haben.“

          Nicht den großen gegen den kleinen Bildschirm tauschen

          Manche pflegen kleine Auszeiten, auch wenn es ihnen nicht bewusst ist. Julia Scharnhorst spricht von „versteckten Pausen“. Zum Beispiel gehen sie über die Flure ins Lager, um Büromaterial zu bestellen, und ziehen sich aus einer Situation heraus, in der sie einmal nicht hochangespannt sind. Von ihren Seminarteilnehmern, die sie in diesen Antistressfragen berät, lässt Scharnhorst SOS-Strategien benennen: Ein stets genannter Klassiker ist die erwähnte Raucherpause. Manche verschaffen sich Bewegung, steigen Treppen, holen persönlich die Post oder Laborwerte ab. Erholsam ist „das berühmte Schwätzchen mit Kollegen“, eine kurze Erinnerung an das schöne Wochenende. „All das hilft, den Geist auszuklinken“, erklärt Scharnhorst. Eine feine Sache sei überdies Humor, gemeinsames Lachen erfrische. Vielen, die in ständigem, fordernden Kundenkontakt seien, falle übrigens spontan der Gang zur Toilette als Rückzugsmöglichkeit ein: endlich mal ein Ort, an dem man nicht angesprochen wird.

          Darin zeigt sich ein entscheidender Pausenaspekt. „Es gibt ein Grundprinzip der Erholung, ich brauche einen Kontrast“, erklärt Coach Alexandra Miethner. „Für viele bedeutet das, weg vom Bildschirm, weg vom Smartphone, also nicht den großen gegen den kleinen Bildschirm tauschen.“ Wer Stunden am Schreibtisch sitzt, sollte nicht alles per Telefon oder Mail erledigen, sondern selbst losziehen. „Das bietet einen kleinen Pauseneffekt, Sozialkontakt und ist übrigens auch karriereförderlich“, wirbt Julia Scharnhorst.

          Eine Methode, sich bewusst etwas Schönes zu gönnen, ist die berühmte Postkarte am Arbeitsplatz, die etwa den Lieblingsurlaubsort zeigt. Julia Scharnhorst kennt sogar Berufstätige, die sich selbst eine Karte aus dem Urlaub schreiben, weil sie sich beim Blick aufs Mittelmeer „einen positiven Anker setzen“. Männer hingegen entspannen bei Fotos, die sie beim Sport zeigen. „Das Foto von der Radtour über die Alpen weckt den Gedanken, nächstes Mal nehmen wir die Anden.“ Auch eine kurze Nachricht mit der Partnerin, dem Partner auszutauschen entspanne: Es gibt ein Leben außerhalb der Arbeit. Manchmal beflügele schon der Gedanke an den abendlichen Kinobesuch. „Ein mentaler Ausflug ins Privatleben hilft vielen, auch wenn das der Arbeitgeber nicht gern hat“, sagt Scharnhorst.

          Rituale helfen

          Um nach der Arbeit abzuschalten, helfen kleine Rituale. Das kann ein ordentlich aufgeräumter Schreibtisch sein, eine kleine To-do-Liste für den nächsten Tag oder das Musikhören auf dem Nachhauseweg, zählt Alexandra Miethner auf: „Manche ziehen sich daheim um. So wechselt das berufliche Ich ins private Ich.“ Überhaupt, das Nachhausekommen hat seine Tücken. Kaum zur Tür reingekommen, geht die Belagerung los - alle wollen etwas von einem, ein Dauerstreitthema berufstätiger Eltern. „Es hilft dann, ein Signal zu vereinbaren, sich zehn Minuten zurückzuziehen.“

          Julia Scharnhorst geht auf dem Nachhauseweg zwei Minuten an einem Teich vorbei. „Der Blick darauf tut gut. Ein kurzes Auftanken in der Natur hilft, Natur ist eine wichtige Kraftquelle.“ Dafür ist nach Feierabend Zeit. Das ist auch geboten. „Selbstverständlich besteht ein großer Zusammenhang zwischen meinem Erholungsgrad und meinem Leistungsgrad und darüber, wie stressstabil ich bin“, ruft Alexandra Miethner in Erinnerung. Wer schlecht geschlafen hat, ist am Tag dünnhäutiger. „Wir reagieren stärker auf Konflikte. Dinge, die uns im Normalfall nicht tangieren, beschäftigen uns dann, etwa ein Telefonat, das nicht so läuft wie gewünscht, oder eine flapsige Bemerkung eines Kollegen.“

          Wirklich etwas zu finden, was hilft, zu pausieren, ist nicht einfach. Manche radeln vorfreudig zum Yoga, andere belegen den Kurs nur, weil es gerade alle machen, da es so gesund ist. Sie sollten sich eingestehen, dass die „Fünf Tibeter“ für sie persönlich eher Aufreger sind. Alexandra Miethner lacht, wenn sie an ihre Yoga-Erfahrung denkt. „Während ich selbst die Stunde zappelig verließ, war meine Freundin traumhaft entspannt.“ Ihr persönliches Fazit: „Diese Art des Yogas ist nicht meine Baustelle. Die Kunst liegt darin, sich nicht von all diesen Angeboten irritieren zu lassen.“ Da hülfen Empfehlungen wie „Lern doch autogenes Training!“ nicht weiter. „Das muss ja überhaupt nicht zu mir und meiner aktuellen Lebenssituation passen.“ Die Kunst liege darin, am Ball zu bleiben, Geduld zu haben und in Ruhe auszuprobieren, was einem tatsächlich guttut. Zwei Fragen seien hilfreich: Was hat mich als Kind, als Jugendlicher glücklich gemacht? Was wollte ich eigentlich schon immer machen? Eine Kollegin hat sich den Traum vom Klavierunterricht erfüllt. „Sie ist damit glücklich. Eine Herausforderung anzunehmen, etwas Neues zu lernen, das kann unglaublich erholsam sein.“

          Das funktioniert übrigens auch, wenn man adrenalingetränkt im Stau steht. In der Ruhe liegt die Kraft. Sich schwarz zu ärgern, ist jedenfalls keine Lösung. Sonja Fischer, die in Wirklichkeit anders heißt, arbeitet für eine Versicherung im Außendienst und steckt regelmäßig auf dem Münchener Ring im Stop-and-go-Verkehr. Eine Alternative zum Auto sieht sie nicht, ihre Termine sind zu weit weg von S- und U-Bahn-Stationen. Eine klassische Mittagspause macht sie grundsätzlich nicht. So wie 10 Prozent der von TNS Infratest befragten Arbeitnehmer, die das selten oder nie tun. „Dabei ist das enorm wichtig. Da gibt es nichts zu verhandeln“, mahnt Alexandra Miethner. Irgendwann bekam die sportliche Frau Fischer ernsthafte Probleme mit ihrem Blutdruck. „Mein Hausarzt hat mir den entscheidenden Tipp gegeben. Er pendelt und lernt im Auto Italienisch. Ich habe es jetzt mit Krimi-Hörbüchern versucht. Seitdem stresst mich die Warterei weniger. Im Gegenteil, manchmal bleibe ich am Ziel noch kurz sitzen, wenn die Passage so spannend ist.“ Seitdem sie regelmäßig Zeit mit Mankells Kommissar Wallander verbringt, sinkt der Blutdruck. „Und das trotz blutiger Morde“, scherzt die 40-Jährige.

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