Versteckte Talente : Ich sehe was, was du nicht siehst
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Die Ausstellung „Kunst und Künstliche Intelligenz“ findet gerade im NRW-Forum in Düsseldorf statt. Bild: the artist
Künstliche Intelligenz findet verborgene Talente von Mitarbeitern. Dafür müssen Datenbanken voll mit Informationen über jeden Einzelnen sein. Mancher fürchtet sich aber genau davor.
Wer kann was im Unternehmen, vor allem im Bereich Forschung und Entwicklung? Der Technologiekonzern Continental wollte das genau wissen und hat dafür im vergangenen Jahr eine Datenanalyse zu den Fähigkeiten von rund 10.000 technischen Mitarbeitern an acht Standorten auf der ganzen Welt gestartet. Ins Radar des digitalen Abgleichs sind die hochspezialisierten Fachkräfte gerückt: Nicht nur, weil ihre Fähigkeiten strategisch wichtig sind, etwa für die Software-Produkte von morgen, sondern auch, weil sie auf dem Markt schwer zu finden sind.
Zudem verfügen viele über verborgene Fähigkeiten, wie die Analyse zeigt. „Einige haben sich an der Uni oder auf einer vorigen Stelle auch mit anderen Inhalten beschäftigt als den auf ihrer Stelle geforderten“, berichtet Anne Baarup, Leiterin Personalstrategie bei Continental in Hannover. „Ihr Wissen kommt bei uns teils noch nicht voll zum Tragen.“
Damit alle fachlichen Fähigkeiten erfasst und in einer Datenbank hinterlegt werden, liest ein dafür entwickelter Algorithmus des Start-up-Unternehmens HR Forecast verschiedene Quellen aus, auch unstrukturierte Datensätze wie die Lebensläufe der Mitarbeiter oder deren Profile im Talent-Management-System. Oft mit Angaben in unterschiedlichen Schreibweisen und Begriffen: Der Algorithmus erfasst sie dennoch, weil er natürliche Sprache verarbeiten kann – und stetig hinzulernt. Die Datenanalyse bewertet aber nicht. „Diese Aufgabe liegt bei der Führungskraft“, sagt Personalstrategin Baarup.
„Kompetenzen bauen wir gerade auf“
Freilich interessiert im Unternehmen, wie gut jemand sein Können einschätzt, etwa wie gut er eine bestimmte Programmiersprache kann. Nach der Analyse wurden daher einige Mitarbeiter angeschrieben und gefragt: „Auf welchem Niveau beherrschen Sie die Sprache?“ Insgesamt habe der Testlauf die vorhandenen Fähigkeiten so sichtbarer gemacht und mancherorts eine bessere Personalplanung angestoßen, wie Baarup sagt.
Einige Fachkräfte seien nun in Projekte über ihren eigentlichen Bereich hinaus eingebunden. Überdies ziehen die Planer im Unternehmen die Datenbank heran, wenn sie die Ansiedelung von Projekten an verschiedenen Standorten beraten. Mit dem Wissen, wo die meisten Fähigkeiten dafür vorhanden seien, gelinge die Zuordnung passgenauer, sagt die Personalstrategin.
Die erste Analyse habe vielen im Unternehmen die Augen geöffnet, welchen Wert das Wissen um den Ist-Zustand an Fähigkeiten bei Continental habe. Um die Pflege der Datenbank und ihren Nutzen kümmert sich nun der Personalbereich am jeweiligen Standort. „Deshalb brauchen wir im Personalbereich mehr Mitarbeiter mit Fähigkeiten für solche Datenanalysen“, sagt Anne Baarup. „Die Kompetenzen dafür bauen wir gerade auf.“
Der Vorgesetzte kann Karrierehungrige nicht mehr leicht ausbremsen
Auch der Management-Dienstleister Accenture nutzt digitales Werkzeug: Seit einem Vierteljahr ordnet dessen Tool zu, welche Berater nach ihren Fähigkeiten und Erfahrungen den Anforderungen in neuen Projekten beim Kunden entsprechen. Das Tool soll so die langwierige Suche nach den passenden Berater-Profilen verkürzen und eine breite Vorauswahl treffen. „Bisher mussten unsere Kollegen in der Abteilung Personal die Qualifikationen der Mitarbeiter im Kopf haben, um eine richtige Zusammenführung mit der jeweiligen Projektrolle zu erzielen“, sagt Dagmar Zippel, Leiterin des Rekrutierungsbereichs. „Nun haben es die Kollegen leichter.“
Für das Matching, also die passende Zusammenführung von Aufgabe und Person, liest das Tool die Qualifikationsprofile der Berater aus: Sie dienen zur Vorlage beim Kunden und werden von jeher von den Mitarbeitern selbst ausgefüllt – mit Angaben zu allen in Studium oder Beruf erworbenen Kenntnissen. Dafür ist in der Software vieles schon standardisiert und über Auswahlfelder definiert. „Ein Vorteil“, lobt Zippel. „Der Algorithmus kann die so vorstrukturierten Daten leicht abgreifen.“ Aus den Beschreibungen der Rollen und Aufgaben in früheren Berater-Einsätzen lässt sich zudem die Erfahrung im Projektmanagement oder als Führungskraft ermitteln. Accenture hat sich das Werkzeug zum Auslesen als hauseigene Lösung von seinen eigenen Fachleuten entwickeln lassen. „Auf dem Markt haben wir kein System gefunden, das alle Überschneidungen in den Eignungen erkannt und zu einem treffsicheren Matching geführt hat“, sagt Zippel.
Nach Ansicht von Wirtschaftsinformatikerin Kathrin Möslein von der Uni Erlangen-Nürnberg ziehen Mitarbeiter noch mehr Vorteile aus der Digitalisierung als interessante Aufgaben. „Eine Datenbank legt ihre Fähigkeiten offen, so dass kein Vorgesetzter sie mehr ausbremsen kann und sich ihre Karrierechancen erhöhen“, sagt sie. Noch reizvoller wird die Dateneingabe, wenn den Mitarbeitern Aufgaben-Marktplätze angeboten werden. „Darüber können sie sich für neue Projekte bewerben“, schildert Möslein, „und in anderen Teams dazulernen.“ Freilich müssen die Vorgesetzten die Marktplätze mittragen. „Sonst fragt der Chef: Hat der Mitarbeiter zu viel Zeit, wenn er nach neuen Aufgaben sucht?“
Rückschlüsse auch auf die Schwächen?
Anders als beim Einsatz von Beratern in zeitlich begrenzten Projekten ist es in Unternehmen mit festen Zuständigkeiten und Hierarchien eher ein Thema, ob Teamleiter ihre Leute an andere Bereiche ausleihen wollen. Mit Blick darauf fordert Möslein, die Kultur im Unternehmen dem digitalen Wandel anzupassen. Manche Betriebe setzen dafür auf den zeitweisen Einsatz von Mitarbeitern in befreundeten Start-ups. Die Manager sollen dort „eine andere Arbeitsweise kennenlernen“, wie Möslein sagt. „Denn es braucht Vorkämpfer im Unternehmen, die den Kulturwandel anstoßen.“ Die Software-Lösung allein helfe nicht weiter: Bleibe die Frage nach Verwendung und Pflege der Daten ungelöst, drohe ein Datenfriedhof.
In Sachen Fort- und Weiterbildung will auch die Telekom ihre Personalarbeit mittels Algorithmen vereinfachen, mit dem System „Skills up“. Im ersten Schritt und freiwillig schätzt der Mitarbeiter dafür das tatsächliche Niveau seiner Fähigkeiten gegenüber den jeweiligen Anforderungen im Stellenprofil ein. „Darüber wird eine Bewertung von Kollegen oder der Führungskraft gelegt und das Ergebnis in die Datenbank eingetragen“, sagt ein Telekom-Sprecher. „Die Eingaben erfolgen in feste Masken und nach vorgegebenen Bewertungs-Skalen.“ Später haben Mitarbeiter wie Führungskräfte Zugriff auf die Plattform und können Bedarf an Schulungen anmelden. Zugleich sollen die Führungskräfte auf einen Blick sehen, was in ihrem Team an Fähigkeiten vorhanden ist, wem ein Training fehlt oder ob Neueinstellungen nötig sind – ohne unzählige Excel-Listen durchgehen zu müssen. Zum anderen erkennen die Mitarbeiter, was sie noch brauchen, etwa ein Training im Programmieren oder im Prozess-Management. „Sie spüren die Veränderung in ihren Berufen, gerade in Technik und IT, und wissen, wie sehr der technologische Wandel lebenslanges Lernen fordert“, sagt der Sprecher. Schrittweise und in Absprache mit dem Betriebsrat eingeführt, soll das System bei der Telekom ab dem nächsten Jahr laufen.
In „Skills up“ sieht der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Josef Bednarski, den richtigen Weg. „Wenn die Kollegen verstanden haben, dass wir sie wie ihre Arbeitsplätze zukunftsfähig machen wollen, ziehen sie mit“, sagt er. Und das, obwohl der Begriff Datenbank lange als böse galt – schließlich lassen Daten nicht nur Rückschlüsse auf die Stärken von Mitarbeitern zu, sondern auch auf ihre Schwächen. „Doch die Frage ist, was man damit macht“, betont Bednarski. „Will man angebliche Low-Performer identifizieren oder die Menschen weiterentwickeln?“ Angesichts sich schnell verändernder Berufsbilder müssten für den bestmöglichen Erhalt der Arbeitsplätze im Konzern die nötigen Maßnahmen zur Weiterbildung mittels Skill-Management rechtzeitig erfasst und angegangen werden. „Es gilt, die Menschen auf Ballhöhe in der Qualifikation für ihren Tätigkeitsbereich zu halten“, sagt Bednarski. Eine geplante IT-Betriebsvereinbarung soll zugleich den Schutz der Beschäftigtendaten im Konzern insgesamt stärken.
Hilfe bei der Nachfolgeplanung
Über die Gesetzeslage zu Mitbestimmung und Datenschutz hinaus hält auch Eberhard Jakobi, Leiter Personalinformation und Datenanalyse bei der Deutschen Bank in Frankfurt, die enge Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretern für wesentlich. „Bei einer Verknüpfung mit Hilfe von Algorithmen ergeben sich mehr Entscheidungsmöglichkeiten – und diese schaffen nicht immer nur Gewinner“, sagt er. Kritisch und transparent setze sich die Bank deshalb mit den Ergebnissen des Einsatzes von Big Data auseinander.
Zum Beispiel bei der Nachfolgeplanung: „In einem Testlauf vergleichen wir strukturierte Daten aus dem jeweiligen Rollenprofil und der Laufbahn eines Mitarbeiters in unserer Bank mit den Merkmalen der zu besetzenden Stelle“, berichtet Jakobi. Ziel der Analyse ist eine automatisierte Vorschlagsliste mit Namen möglicher Nachfolger. „Bei der Besetzung von Stellen im mittleren Management ist die schiere Größe des Unternehmens häufig hinderlich“, sagt er. „Passende Kandidaten aus anderen Bereichen sind oft nicht bekannt, so dass daher nur die aus dem direkten Umfeld zum Interview gebeten werden.“ Der Datenbankabgleich durchlaufe indes alle Profile und erweitere den Kandidatenkreis. Dabei ist der Blick auf die bisherige Karriere des Managers entscheidend: Wie viele Leute berichten an ihn heute, wie viele waren es früher? Und in welcher Zeit hat sich sein Team vergrößert? „Wichtig ist auch, zu wissen, welche Rollen jemand als Führungskraft ausgeübt hat, mit welchen Erfahrungen“, sagt Jakobi.
Offen bleibt bei den digitalen Treffern freilich, wie gut ein Manager vom Typ her dem Team oder Bereich entspricht. Dafür bleibt nach wie vor das Gespür von Personalmanagern, Vorgesetzten und Bewerbern gefragt.