Verhaltensökonom im Gespräch : „Wir sind keine kalten Nutzenmaximierer“
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Frauen setzen im Berufsleben eher auf Kooperation, um weiter zu kommen, Männer bevorzugen, sich im Wettbewerb mit Anderen zu beweisen. Bild: Picture-Alliance
Will ein Unternehmen gute Ergebnisse erzielen, ist ein Klima der Kooperation im Büro wichtiger als Wettbewerb, sagt der Verhaltensökonom Matthias Sutter. Leider haben das viele Männer noch nicht kapiert.
Herr Sutter, Sie beschäftigen sich als Wirtschaftswissenschaftler mit der Frage, wie wir Entscheidungen treffen. Warum?
Die Wirtschaft ist doch nichts anderes als ein System, das bestimmt wird von den täglichen Entscheidungen von Milliarden von Menschen. Alle diese Menschen lassen sich dabei in ihren Entscheidungen von unterschiedlichsten Anreizen beeinflussen, wie wir Ökonomen das nennen. Dies können natürlich die Preise von bestimmten Gütern sein: Ist beispielsweise ein neues Auto gerade besonders billig, entschließe ich mich eher zum Kauf. Aber auch ganz andere Umstände spielen bei unseren Entscheidungen eine Rolle: zum Beispiel, wie man selbst im Vergleich zu jemand anderem dasteht. Oder ob wir ein bestimmtes Verhalten als fair betrachten oder nicht.
Da hat die Universität Studenten jahrzehntelang etwas anderes beigebracht: Wir entscheiden stets so, dass wir unseren Nutzen maximieren, hieß es immer.
Ja, der klassische Ansatz hat in der Tat so funktioniert und dabei häufig Nutzen mit irgendeiner Form von Auszahlung gleichgesetzt. Weil sich damit wunderbar rechnen lässt. Aber dieser Ansatz hält der Realität nicht stand: Er geht nämlich davon aus, dass wir in Sekundenbruchteilen alle unsere unterschiedlichen Optionen wahrnehmen, sie bewerten und dann die beste auswählen. Doch wer kennt schon alle Optionen? Dies ist bereits bei einer vermeintlich simplen Entscheidung wie der Wahl eines neuen Stromanbieters nahezu unmöglich - weil es einfach so unglaublich viele Anbieter gibt.
Gibt es weitere Einschränkungen?
Aber ja. Selbst viele der uns bekannten Optionen sind mit großen Unsicherheiten verbunden. Nehmen Sie nur die Studienwahl: Wer weiß denn schon, was beispielsweise dabei herauskommt, wenn man Volkswirtschaftslehre, Altphilologie oder Theologie studiert? Uns fehlt ebenjene vollständige Information, von der viele klassische Ökonomen ganz selbstverständlich ausgehen. Nun würden diese zwar einwenden: Es genügt doch, die Wahrscheinlichkeit zu kennen, mit der ein bestimmtes Ereignis eintritt. Aber nur weil Joachim Gauck es als Pastor ins Bundespräsidentenamt geschafft hat, lässt sich daraus doch nicht ableiten, dass dies nun einem bestimmten Prozentsatz aller Theologie-Studenten gelingen wird.
Bei aller Kritik: Dass Menschen stets das Beste für sich herausholen wollen, würden Sie aber nicht bezweifeln, oder?
Dazu haben wir unlängst ein wirklich faszinierendes Experiment mit Taxifahrern gemacht. Es fand in Athen statt - einer Stadt, in der Taxifahrer normalerweise mehrere Stunden auf den nächsten Fahrgast warten müssen. Das heißt: Jeder Taxifahrer hat einen hohen Anreiz, aus jeder Fahrt das Maximum herauszuholen. Aber genau das ist verblüffenderweise nicht geschehen. Die Mehrheit der Menschen handelt, so das Ergebnis unserer Forschung, viel fairer als angenommen - sie nutzt einen Informationsvorsprung viel seltener aus als gedacht.
Wie haben Sie das festgestellt?