Prallvolle Terminkalender : Ende Mai wär' noch was frei
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Bild: Cyprian Koscielniak / F.A.Z.
Terminhatz und ein prallvoller Kalender - so sieht der Berufsalltag vieler Führungskräfte aus. Doch der Stress kann reduziert werden. Das Zauberwort heißt: Zeitautonomie.
Wenn der Tag mal wieder besonders heftig war, stellt Marianka Stickel ihrem Chef am nächsten Morgen ein Schokobrötchen und einen Cappuccino auf den Schreibtisch. Als Aufmunterung, vielleicht auch als kleine Entschuldigung. Denn Stickel hat es in der Hand, wie die Tage von Dirk Martin aussehen. Die Neunundzwanzigjährige ist Herrin über den Kalender ihres Vorgesetzten, dem Mitbegründer und Gesellschafter der PMCS-Helpline Software Gruppe in Bad Camberg. Zum Glück, wie er findet.
Martins Arbeitstage haben nicht selten vierzehn Stunden. Zwischen Web-Präsentationen schieben sich Mitarbeitergespräche, interne Meetings und Telefonkonferenzen. Dabei wächst die Zahl der E-Mails, die möglichst rasch bearbeitet und der Anrufe, die beantwortet sein wollen. Den Tag im Büro krönt ein Termin beim Banker des Vertrauens - aber nicht bevor die vollgepackte Unterschriftenmappe vom Tisch ist.
Früher hat Martin das noch selbst koordiniert. Er habe gedacht, dass es „wahnsinnig“ sei, jemanden anzustellen, nur um seine Termine zu organisieren: die Sekretärin - ein Statussymbol. „Der Knackpunkt kam, als ich den Bundesvorsitz der Jungen Unternehmer übernommen habe“, sagt er. Das Amt hat er 2009 wieder abgegeben, die Regie seiner Arbeitstage ist aber in den Händen von Marianka Stickel geblieben. Sie bucht Flüge und Hotels, koordiniert Anfragen von Kunden, Mitarbeitern, Bewerbern und Kollegen. Obwohl sie jede Woche fünf Tage und immerhin fast fünfzig Wochen zur Verfügung hat - Martin sagt, dass er auf zwanzig Tage Urlaub hinarbeitet -, sind die weißen Flecken im Kalender rar. Pausen sind nicht vorgesehen.
Wenn Martin in Bad Camberg ist, steht die Tür, die ihre Büros verbindet, meist offen, die Kommunikation ist eng. Sein Kalender füllt sich aber auch, wenn er, wie mehrheitlich der Fall, auf Reisen ist: in Deutschland, der Schweiz, Österreich oder Amerika, nicht selten mehrere Länder innerhalb einer Woche. Doch egal, wo sich ihr Chef befindet: Sobald der Termin vorbei ist, klingelt bei Stickel das Telefon. Ist der Flug zu spät oder die Autobahn verstopft? Bisweilen lotst sie ihn mit Hilfe von Google Maps zum nächsten Zielort, den das Navi nicht findet. Ihr Chef sei nicht selten spät dran, verrät sie. So kommt es, dass jemand, der Martin treffen will, sich bis zu eineinhalb Monate gedulden muss.
Zahl der Mitarbeiter mit psychischen Belastungen hat stark zugenommen
Wie viele Menschen in Deutschland solche kurz getakteten Marathontage absolvieren, ist schwierig abzuschätzen. Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Personalführung hat die Zahl der Mitarbeiter mit psychischen Belastungen in den letzten Jahren stark zugenommen - Zeitdruck steht dabei mit 68 Prozent an zweiter Stelle. „Dies ist auch das Schicksal der umfassenden Vernetzung, in der wir heute leben“, sagt Jürgen Klippert von der Universität Kassel. Als Folge der Rationalisierungen werde außerdem immer mehr Last auf weniger Schultern verteilt, fügt er hinzu. Martin hat immerhin seinen Partner und den Geschäftsführer, auf deren Schultern sich die Verantwortung für die 180 Mitarbeiter verteilt. „Das nimmt auch ein wenig die Einsamkeit“, sagt er.